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Zwei Menschen besuchen das ehemalige KZ Auschwitz-Birkenau.
15. März 2023

Holocaust-Erinnerung ohne Zeitzeug*innen

Von Schrödingers Katze
Gesellschaft
Wie kann die Erinnerung an den Holocaust in Zukunft möglich sein, wenn es immer weniger Zeitzeug*innen gibt?

Mit der Frage, wie Holocaust-Erinnerung ohne Zeitzeug*innen aussehen kann, befassen sich nicht nur Wissenschaft und Gesellschaft, sie stand auch im Fokus des Theaterstück „Zehn Zeugen sajnen mir gewesn“ des Zirkus des Wissens der JKU Linz im Februar. Der Zirkus des Wissens steht für offenen Dialog und Wissenstransfer zwischen Wissenschaft und Gesellschaft und versucht, mit den Mitteln der Kunst Menschen aller Altersgruppen anzusprechen. Im Stück „Zehn Zeugen sajnen mir gewesn“ wurde der Frage nachgegangen, wie die emotionale Dimension des Holocausts vermittelt werden kann, wenn Zeitzeug*innen nicht mehr befragt werden können. 

Die Verantwortung, Erinnerung weiterzutragen

Mit Erinnerungskultur befasst sich auch Herta Neiß. Bisher waren Gespräche mit Zeitzeug*innen für die Erinnerungskultur besonders wichtig, erklärt Neiß. Diese Gespräche erzeugen Empathie, denn authentisches Erleben ist etwas anderes als etwa ein Buch zu lesen: „Ein Gespräch mit Zeitzeug*innen kommt den Menschen viel näher.“ Neiß begann ihr ehrenamtliches Engagement in der Lagergemeinschaft Auschwitz in ihrer Studienzeit. Bei einer damaligen Exkursion ins KZ Auschwitz-Birkenau an der Seite von Zeitzeug*innen, sagte Kurt Hacker, Widerstandskämpfer und Überlebender des KZ Auschwitz zu ihnen: „Ihr habt die Verantwortung, die Erinnerung weiterzutragen.“ Und das hat Herta Neiß sich bis heute zu Herzen genommen. Im Laufe der Zeit freundete sie sich mit vielen verschiedenen Zeitzeug*innen an. „Diese waren immer da, um der Nachwelt die NS-Zeit näherzubringen. Nun sind fast alle tot“, fasst Neiß zusammen. In Österreich gibt es nur noch den Auschwitz-Überlebenden Erich Finsches, der in Schulen spricht, doch auch dieser ist bereits 95 Jahre alt. 

Erinnern dank Technik

Um Erinnerung zu erhalten, wollen manche Expert*innen den Einsatz von Technik verstärken. Auch verschiedene Hinterlassenschaften der Zeitzeug*innen oder die Nutzung von Social Media könnten helfen, Erinnerungen aufrechtzuerhalten. „Ein echtes Gespräch kann die Technik nicht ersetzen, aber sie schafft die Möglichkeit, Erinnerung lebendig zu halten“, so Herta Neiß. Für sie ist es wesentlich, dass das Thema lebendig bleibt und nicht nur ein Kapitel im Geschichtsbuch ist. Herta Neiß war anfangs selbst skeptisch, wie man online eine Erinnerungskultur ermöglichen kann, sieht nun mittlerweile aber auch die Vorteile darin: „Es ist immer die Frage, was man genau macht. Möglichkeiten, wie die eines Hologramms, können eine gute Option sein, um die Erinnerung an die Zeitzeug*innen aufrechtzuerhalten.“ Kritisch sieht sie jedoch andere technische Überlegungen, wie etwa den Einsatz von Avataren (das sind grafische Darstellungen, die echte Personen repräsentieren sollen). „ Das kann schnell pietätlos werden, wenn Zeitzeug*innen zu Avataren werden und in die Umgebung eines Computerspiels versetzt werden.“

Empathie wecken

Auch ein Theaterstück – wie das eingangs erwähnte „Zehn Zeugen sajnen mir gewesn“ – kann eine Möglichkeit für Erinnerungskultur sein. „Besonders geeignet ist so etwas für Schulklassen, so könnten diese auch ein Stück selbst aufführen und sich so mit dem Leben und Wirken der Zeitzeug*innen auseinandersetzen“, ist Neiß überzeugt. Sie betont, dass es stets neue Ideen gibt, um kollektiv zu erinnern. So wurden in der Vergangenheit etwa Stolpersteine (das sind im Boden verlegte Gedenktafeln, die an die Opfer des Holocausts erinnern) oder verschiedene Jahres- und Gedenktage initiiert. Wichtig ist für Herta Neiß auch, dass das Thema nicht nur in der Vergangenheit verortet ist: „Auch heute werden Menschen – etwa aufgrund ihrer Hautfarbe – diskriminiert. Die Geschichte und unser Umgang damit haben Auswirkungen auf die Gegenwart. Besonders junge Menschen sollen über die Hintergründe der NS-Zeit lernen. Sie müssen erfahren, wie es zu diesen Gräueltaten kam.“

Herta Neiß, die aktuell eine Ausstellung im Stadtmuseum Bad Ischl kuratiert, in der es auch einen Raum der Erinnerung geben wird, betont schlussendlich, dass der emotionale Bezug sowie Empathie wichtig sind, um Interesse zu wecken. Bezogen auf die Erinnerung an die Shoah sagt sie abschließend: „Es geht darum, im Kleinen vom Großen zu erzählen. Schafft man es, einzelne Personen herauszunehmen, und auf deren Geschichte zu fokussieren, dann kann dieser emotionale Bezug gelingen.“

Herta Neiß ist Mitarbeiterin am Institut für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der JKU und auchVorstandsmitglied der Österreichischen Lagergemeinschaft Auschwitz zum Gedenken, Mitglied des Internationalen Auschwitz Komitees und sie leitete den Gesellschaftlichen Beirat zur Neugestaltung der österreichischen Länderausstellung in der Gedenkstätte Auschwitz Birkenau Polen für die Republik Österreich. 

Herta Neiss von der JKU
© A. Neiss

Zu diesem Beitrag gibt es einen Lesetipp: Görgü Tanıkları olmadan Yahudi Soykırımı hatırası.

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