Schrödingers Katze Schrödingers Katze

Der österreichische Wissenschaftsblog
42.000+ Fans

21. Juni 2017

Zellbiologen lassen für die Gerichtsmedizin Muskelproteine spielen

Von Schrödingers Katze
Naturwissenschaft
Ein Abstecher in die Fleischindustrie, zwei Leichen im See und eine „Leichenfarm“ in Tenessee: Zellbiologen beobachten den Abbau von Muskelproteinen im Fleisch und liefern wichtige Erkenntnisse für die Gerichtsmedizin.

Inspektor Columbo betritt den Tatort: „Wann ist die Person gestorben?“ Es scheint eine rhetorische Frage. Dem abgeklärten Krimihelden genügt ein Blick auf die Leiche und er kann den Todeszeitpunkt feststellen. In Wahrheit ist die Sache aber nicht immer so einfach. Die forensische Medizin kannte bisher drei Merkmale um den Todeszeitpunkt eines Menschen zu bestimmen: den Rigor Mortis (die Leichenstarre), die Kernkörpertemperatur und Totenflecken. Problematisch wird es allerdings dann, wenn die Leiche bereits zwischen 24 und 48 Stunden „alt“ ist.

Die gängigen Methoden greifen dann nicht mehr. „Wenn die Temperatur der Leiche dieselbe hat wie die der Umgebung, kann der Gerichtsmediziner mit der Körpertemperatur nichts mehr aussagen. Auch der Rigor Mortis ist irgendwann vorbei und mit den Leichenflecken kann man auch nichts mehr anfangen“, betont Peter Steinbacher, Zellbiologe an der Universität Salzburg.

Proteine im Steak unter die Lupe genommen

Der Zellbiologe erforschte mit seinem Team eine Methode, die es ermöglicht, den Todeszeitpunkt auch für den Zeitraum von 36 bis 240 Stunden nach dem Tod, festzustellen. „Wir haben herausgefunden, dass die Proteine in den Zellen unserer Muskulatur in einem bestimmen Muster zerfallen. Manche dieser Spaltprodukte tauchen dann zum Beispiel immer zwischen 50 bis 70 Stunden nach Todeseintritt auf“, erklärt Steinbacher.

Am Zerfall der Muskulatur lässt sich also zurückverfolgen wann die Person gestorben ist. Zehn verschiedene Proteine werden bei diesem Verfahren aktuell untersucht. „Pro Protein gibt es unterschiedlich viele Spaltprodukte, die in Summe ein Muster ergeben, mit diesem man das Zeitfenster immer weiter verkürzen kann“, gibt der Zellbiologe zu wissen.

Den zündenden Gedanken für die neue wissenschaftliche Erkenntnis lieferte die Fleischindustrie. „Bei der Literaturrecherche sind wir draufgekommen, dass Spaltprodukte von Muskelproteinen auch auftreten, wenn man Fleisch hängen lässt. Das untersucht die Fleischwirtschaft, weil sie herausfinden möchte, was die idealen Bedingungen für möglichst zartes Fleisch sind“, erklärt der Zellbiologe. Wieso niemand auf die Idee gekommen ist, dasselbe auch bei Leichen auszuprobieren, hat sich Steinbacher gefragt. Infolge hat er die bahnbrechende Verbindung zur forensischen Medizin hergestellt.

Zwei Seeleichen zum Test

Eine erste große Bewährungsprobe für die zellbiologische Errungenschaft gab es bereits. Im vergangenen Winter wurden aus einem See nahe der deutschen Grenze zwei Leichen geborgen. Anfangs war nicht klar, ob es sich in diesem Fall um Mord, Selbstmord oder Doppelmord handelte. Aufgrund der niedrigen Temperaturen im Wasser konnten die Gerichtsmediziner den Todeszeitpunkt nicht näher bestimmen. „Wir haben mit unserer Methode herausgefunden, dass die zwei Personen nicht gleichzeitig gestorben waren. Die eine Person hatte einen sehr ausführlichen Zerfall der Muskulatur, die andere fast gar keinen“, sagt Steinbacher.

Die Vorteile der neuen Untersuchungsmethode

Die Bestimmung des Todeszeitpunkts ist oft ein langwieriger, komplizierter Prozess, der den Einsatz teurer Geräte und die Untersuchung eines gesamten Leichnams erfordert. Steinbacher käme auch zu einem validen Ergebnis, hätte er lediglich einen abgetrennten Arm zur Verfügung. „Ich brauche nur eine Muskelprobe entnehmen, die Muskulatur zerkleinern und die Proteine mit Antikörpern nachweisen. Das ist eine sehr günstige, einfache Methode, mit der man innerhalb von 24 Stunden zu einem Ergebnis kommt und die auch jeder Labormitarbeiter leicht erlernen kann“, begründet der Forscher die Vorteile seiner Untersuchungsmethode.

Assistenzprofessor Dr. Peter Steinbacher leitet die AG Entwicklungsbiologie & Zellplastitizät.

Die Leichenfarm in Tennessee

In Zukunft möchte sich Steinbacher intensiver mit den Verwesungsprozessen der Menschen auseinanderzusetzen. Geplant ist eine Kooperation mit der „Body Farm“ in Tennessee, USA. Die offizielle Bezeichnung des Geländes lautet Anthropological Research Facility und befindet sich hinter der Uniklinik von Knoxville.

Auf einem geschützten Gelände werden an der freien Luft postmortale Veränderungen des Menschen beobachtet, es wird mit Leichnamen experimentiert und es können kontinuierlich Proben entnommen werden. Was unter anderem als gruseliger Schauplatz für Serien wie CSI oder Dead Zone dient, für den FBI ein Trainingszentrum bietet, gilt für die forensisch-anthropologische Forschung als weltweit anerkanntes Experimentierfeld.

Steinbacher bedauert, eine solche Einrichtung nicht in Europa zu haben. „Unsere Kooperation soll in den USA stattfinden, weil wir in Europa keine einzige ‚Body Farm‘ haben. Es gibt aber einen Zusammenschluss an Gerichtsmedizinern, die das vorantreiben wollen. Der erste Versuch ist leider bei der EU nicht durchgegangen, aber es wird weiter daran gearbeitet“, gibt sich Steinbacher zuversichtlich.

Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von Facebook Like-Button zu laden.

Inhalt laden


Teile den Beitrag auf

Facebook
Twitter
Monatliche Updates in deiner Inbox!

Diese Artikel solltest du ebenfalls lesen

  • Eine Hand in Handschuhen, die auf ein Tablet zeigt, ist zu sehen. Auf dem Tablet sind Röntgenaufnahmen von Zähnen abgebildet.

    Künstliche Intelligenz in der Zahnmedizin

    Januar 19, 2023
  • Die Victor-Franz-Hess-Messstation am Hafelekar.

    Forschung in höchsten Höhen

    Januar 4, 2023
  • Die oralen Bakterien der Neisseriaceae.

    Raupenförmige Bakterien in unserem Mund

    Dezember 1, 2022
« Cats in Circles – Warum setzen sich Katzen gern in Kreis-Fallen?
Faktencheck: Stimmt es, dass es die „Pille für den Mann“ längst gibt? »

Aktiv werden

Katzenpost

PapierfliegerDu hast Vorschläge zu Themen, die wir behandeln sollen? Dann schick sie uns!

Mit der Verwendung des Kontaktformulars nimmst du unsere Datenschutzerklärung zur Kenntnis.

    Zum Absenden des Formulars muss Google reCAPTCHA geladen werden.
    Google reCAPTCHA Datenschutzerklärung

    Google reCAPTCHA laden

    Schrödingers Katze
    • › Impressum
    • › Datenschutz
    • › Über uns
    • › Kontakt