Es war ein Zufall, der die Medizin revolutionieren sollte: Als der Bakteriologe Alexander Fleming im September 1928 nach seinem Urlaub in sein Labor zurückkehrte, stieß er auf eine Schale mit einer verschimmelten Bakterienkultur. Zuvor hatte er mit dem Krankheitserreger Staphylococcus aureus experimentiert und seine Arbeitsutensilien wohl nicht ordentlich gereinigt. Eine Schlamperei, die ihm – und folglich der Medizin – jedoch helfen sollte: Er stellte fest, dass die Schimmelpilze die Bakterien zerstört hatten und es gelang ihm, die bakterientötende Substanz aus dem Schimmel zu extrahieren. Er nannte dies Penicillin –– und damit begann der Erfolg der Antibiotika.
Bakterien bekämpfen
Antibiotika werden zur Behandlung von bakteriellen Infektionen – darunter Krankheiten wie Borreliose, Hirnhautentzündung oder Syphilis und viel andere – eingesetzt. Bei Virusinfektionen wirken Antibiotika nicht. Mittlerweile weiß man, dass die falsche Anwendung von Antibiotika nicht nur erfolglos ist, sondern Nebenwirkungen hat und die Entwicklung von Antibiotikaresistenzen fördern kann. Dazu sagt der an der Universität Wien tätige Biotechnologe Sergey B. Zotchev: „Antibiotikaresistenzen entstehen, wenn Bakterien durch Mutationen oder den Austausch von Genmaterial Mechanismen entwickeln, um sich gegen Antibiotika zu schützen. Wird ein Antibiotikum häufig oder falsch verwendet – etwa bei viralen Infektionen – oder zu früh abgesetzt, überleben resistente Bakterien und können sich weiterverbreiten. Auch der Einsatz von Antibiotika in der Tierzucht trägt zur Entwicklung von Resistenzen bei.“
Problem der Resistenz
Diese Antibiotikaresistenzen stellen aktuell eine große Gefahr dar. Sergey B. Zotchev sagt dazu: „Wenn immer mehr Bakterien resistent werden, verlieren wir eines der wichtigsten Werkzeuge der modernen Medizin. Infektionen, die früher leicht behandelbar waren, könnten wieder tödlich verlaufen. Auch Routineeingriffe wie Operationen oder Chemotherapien werden riskanter, da Infektionen nicht mehr effektiv verhindert oder behandelt werden können. Laut WHO gehört die Antibiotikaresistenz zu den größten globalen Gesundheitsbedrohungen der Gegenwart und Zukunft.“ Es gibt viele Antiobiotika-Wirkstoffe auf dem Markt, weltweit sind es 70 bis 100, so der Experte. Viele kommen in mehreren Medikamenten vor. „Die genaue Zahl schwankt je nach Definition – zum Beispiel ob Kombinationspräparate gezählt werden – und regionaler Zulassungen. Allerdings sind viele dieser Antibiotika bereits Jahrzehnte alt, und es gibt nur wenige wirklich neue Wirkstoffe.“
Neuer Wirkstoff
Gemeinsam mit Kolleg*innen der Universität Wien und des Helmholtz-Instituts für Pharmazeutische Forschung Saarland hat Sergey B. Zotchev nun einen Wirkstoff entdeckt, der eine starke Wirkung gegen hochresistente Bakterienstämme aufweist. Die Forschungsergebnisse wurden im Journal Angewandte Chemie International Edition veröffentlicht.
Wie die Wissenschafter*innen zu den Ergebnissen kamen, erklärt der Wissenschafter folgend: „Der Durchbruch gelang durch eine Kombination aus moderner Genomik, computergestützter Analyse und traditioneller Naturstoffforschung. Wir haben gezielt nach Mikroorganismen gesucht, die bisher schwer zugänglich oder unerforscht waren – insbesondere in extremen Lebensräumen. Mithilfe neuer Analysetechniken konnten wir bislang ‚stille‘ Gene aktivieren und neue Wirkstoffe isolieren – darunter den nun entdeckten, hochwirksamen Kandidaten.“
Künftiger Einsatz
Für den neuen Wirkstoff sind Actinobakterien relevant. Diese können eine Vielzahl an Bioaktivstoffen produzieren, darunter viele der heute eingesetzten Antibiotika wie Streptomycin, Erythromycin oder Vancomycin. Bioaktivstoffe sind Inhaltsstoffe, die die Gesundheit positiv beeinflussen. Actinobakterien besitzen ein großes Genom, das ist die Gesamtheit der Erbinformationen eines Lebewesens oder Virus, und sie haben viele Gene für sekundäre Metabolite. Das sind organische Moleküle, die von Pflanzen, Bakterien und Pilzen, produziert, aber nicht lebensnotwendig sind. „Sie gelten daher als wahre Schatztruhen für die Antibiotikaforschung“, sagt Sergey B. Zotchev.
Der neue Wirkstoff wurde bisher im Labor getestet und wies eine starke Aktivität gegen bestimmte multiresistente Erreger wie Staphylococcus aureus (inkl. MRSA) und Enterococcus faecium (inkl. VRE) auf. „Sehr wichtig ist, dass dieses neue Antibiotikum, genannt Saarvienin, gegen Bakterien wirksam ist, die gegen viele andere klinisch eingesetzte Antibiotika resistent sind. Er könnte daher bei schweren Krankenhausinfektionen, Blutvergiftungen oder Lungenentzündungen eingesetzt werden, bei denen herkömmliche Antibiotika versagen“, sagt Sergey B. Zotchev.
