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8. Januar 2016

Wenn das Fass überläuft – Über nervige Beschwerden und den Umgang mit ihnen

Von Schrödingers Katze
Faktencheck
Nach der Äußerung einer Beschwerde sind mehr als die Hälfte der Kunden unzufriedener als zuvor. Auch auf Seite der Mitarbeiter bedeuten unangenehme Beschwerdesituationen Stress. Die Psychologin Prof. Dr. Eva Traut-Mattausch von der Universität Salzburg erklärt uns, warum alle Beschwerden hassen – und wie man dennoch davon profitieren kann.

Wer hat nicht schon einmal zum Telefonhörer gegriffen, wenn ein Produkt enttäuschend oder das Service  eines Unternehmens mangelhaft war? Für die meisten Menschen ist sich zu beschweren eine Überwindung, die erst in Kauf genommen wird, wenn es einem wirklich reicht. Das beweisen auch die Forschungsbefunde der Psychologin Prof. Dr. Traut-Mattausch aus Salzburg. „Kundinnen und Kunden beschweren sich nur dann direkt, wenn sie sehr verärgert sind – das Maß also voll ist.“ Als Beraterin wurde sie bereits vor ihrem Studium selbst mit solchen Ultima-Ratio-Kundenbeschwerden konfrontiert. Diese waren „durchaus unangenehm, je nachdem wie aufgebracht oder wütend die Kundin oder der Kunde war.“

Nach ihrer Promotion entstand aus diesen Erfahrungen die Idee zu einem Forschungsprojekt: Was ist an den Beschwerden eigentlich so unangenehm? Warum werden sie nicht als interessante Hinweise genutzt? Wieso wird stattdessen ein Frust-Teufelskreis in Gang gesetzt? Inzwischen ist sie gemeinsam mit ihrer Kollegin Dr. Eva Jonas die erste Wissenschaftlerin, die Beschwerden und ihre Wirkung aus psychologischer Sicht untersucht (bisher hatten sich fast ausschließlich Betriebswirtschafter mit der Thematik beschäftigt).

Menschen wollen eindeutige Antworten

Die Erkenntnis: Im Kern des Problems versteckt sich ein Reaktionsmechanismus, den Psychologen als „need for cognitive closure“ bezeichnen. „Es ist das Bedürfnis von Menschen, möglichst schnell und ohne großes Abwägen zu einer eindeutigen Antwort auf komplexe soziale Situationen zu kommen. Fühlen sich Menschen zum Beispiel in ihrem Selbstwert bedroht, machen sie zu, wie man sagt,“ fasst Prof. Dr. Traut-Mattausch zusammen.

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Das Ring-Reaktions-Modell beschreibt, wie sich die gegenseitige, negative Wahrnehmung von Kunden und Mitarbeitern im Laufe der Beschwerde aufbaut. Dabei wird der jeweilige Gegenüber als Verteidigungsreaktion mental „abgewertet“ und es entsteht ein Teufelskreis.

Werden Service-Mitarbeiter persönlich attackiert, folgt also eine Verteidigungsreaktionen: „Sie verlieren die Motivation, sich mit den Beschwerdeführern oder ihren Problemen auseinanderzusetzen und werten diese ab.“ Oft wird dann angenommen, dass der Kunde bestimmt maßlos übertreibt oder nur einen Preisnachlass möchte. Dieses „abwertende“ Serviceverhalten wirkt wiederum auf den Kunden ein. Es entsteht ein Teufelskreis, indem der Kunde schließlich die Kompetenz der Mitarbeiter anzweifelt.

„Mehr als die Hälfte der sich beschwerenden Kunden sind nach der Beschwerde noch unzufriedener.“ – Prof. Dr. Traut-Mattausch

Verlust auf beiden Seiten

Das Resultat: eine Verlustsituation auf beiden Seiten. Die Mitarbeiter greifen Beschwerden nicht auf und verpassen wichtige Hinweise, Kunden wandern ab und nehmen noch weitere durch negative Mund-Propaganda mit. Diese Folge zeige sich auch in der Statistik, sagt Prof. Dr. Traut-Mattausch, denn „mehr als die Hälfte der sich beschwerenden Kunden sind nach der Beschwerde noch unzufriedener.“

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„Weil durch das Internet Konsumenten auf Erfahrungen zurückgreifen können, die weit über den eigenen Familien und Freundeskreis hinausgehen, nehmen sowohl positive wie auch negative Mund-Propaganda erheblich an Bedeutung zu,“ erklärt Prof. Dr. Traut-Mattausch.

Eine Entwicklung, die Prof. Dr. Traut-Mattausch zu denken gibt. Da sich nur ein geringer Teil unzufriedener Kunden wirklich beschwert, sollten diese wenigen, wertvollen Chancen genutzt werden: „Denn wenn der Beschwerdeprozess positiv verläuft, dann sind diese Kunden äußerst loyal – was das Ziel eines Unternehmens sein sollte.“

„Das Verhalten von KundInnen kann leider nicht verändert werden. Wenn diese sich an ein Unternehmen wenden, um sich zu beschweren, werden sie unweigerlich aufgebracht, möglicherweise auch sehr wütend sein.“ Eine positive Veränderung könne aber sehr wohl auf Seiten der Mitarbeiter erzielt werden, sagt Traut-Mattausch – und hat gemäß diesem Ansatz ein Training zum positiven Umgang mit Beschwerden entwickelt.

Positiver Umgang

„In einer Studie konnten wir zeigen, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für den Umgang mit einer Beschwerdesituation fit gemacht werden können.“ Hierbei wurde den Teilnehmenden die Motivation und die Einstellung „Sei neugierig auf das, was Dir der Kunde/-in erzählt“ sowie Fragetechniken vermittelt, um relevante Informationen zum Problem und Vorschläge zur dessen Lösung vom Kundenseite zu erhalten.

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Mystery Calls werden eingesetzt, um die Qualität von Hotlines zu überprüfen. Für die MitarbeiterInnen ist nicht ersichtlich, dass es sich um einen fiktiven Anruf handelt. Die Mystery Caller bewerten das Gespräch, z.B. den Umgang mit Beschwerden.

„Wir konnten zeigen, dass durch ein Training, das an unserem Ring-Reaktions-Modell ansetzt, der Teufelskreis der Beschwerden durchbrochen werden kann. Es kommt zu einer Aufwärtsspirale, von der beide Seiten profitieren. Die Kunden sind zufriedener, weil sie ernst genommen werden. Die Unternehmen ihrerseits gewinnen nicht nur treuere Kunden, sondern erfahren auch viel über Basisanforderungen, die Menschen an ein Produkt haben“, fasst Prof. Dr. Traut-Mattausch zusammen.

Das Training kann allerdings nur dann zum erhofften Erfolg führen, wenn die Unternehmen ihren Mitarbeitern auch ausreichend Zeit für den Umgang mit Kunden geben, räumt die Wissenschaftlerin ein. Bei der langfristigen Zielsetzung, immer ein „netter“ Beschwerdeführer zu sein, spricht Traut-Mattausch auch aus eigener Erfahrung.

Prof. Eva Traut-Mattausch
Prof. Dr. Eva Traut-Mattausch

Die Beschwerde als Geschenk

„Als Mitarbeiterin der Universität Salzburg habe ich die Beschwerdeeinrichtung „Voice“ im Fachbereich Psychologie ins Leben gerufen und leite diese auch“, erzählt sie. Die Idee sei, dass sich Studierende und Mitglieder des Fachbereichs mit einem Anliegen und auch ihren Ideen zur Verbesserung an uns wenden können. „Wir versprechen aktiv zu werden und jede und jeder, die/der sich an uns wendet, erhält auch eine Rückmeldung, was mit ihrer/seiner Beschwerde passiert ist bzw. welche Veränderungen initiiert wurden.“ So wird versucht, die Ergebnisse aus der Forschung auch eigenhändig in der Praxis umzusetzen.

Eine Beschwerde als Geschenk zu sehen, mag nicht immer einfach erscheinen. Natürlich ist die Tatsache, dass ein Kunde nicht zufrieden ist, suboptimal. Mit Hilfe von Dr. Traut-Mattausch’ Maßnahmen rückt jedoch die positive Seite der Kritik in den Vordergrund – und mit ihr die Chance, einen unzufriedenen Kunden in einen zufriedenen Werbeträger zu verwandeln.

Text und Interview: Philipp Greiner

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