Ein gedrosseltes Roadmovie
Mit einem präzisen Ansatz, der in seiner Schlichtheit betört, schufen sie mit Eden’s Edge einen nicht leicht verdaulichen Film. Verdaulich will er auch gar nicht sein. Er will zeigen, wie Geschichten unsere Wahrnehmung von Orten einrahmen. Aus der Vogelperspektive. In Cinemascope. Motiviert durch eine Beobachtung von Gerhard Treml.
„Da passiert etwas, wenn man mit einem Flugzeug abhebt. Man schaut hinunter und es gibt diesen einen Moment, in dem alles wie eine Spielzeuglandschaft wirkt. Darüber ist das anders, da wird die Welt zweidimensional. Darunter ist alles zu realistisch und hat etwas Dokumentarisches. Aber genau dazwischen gibt es diese Ebene, die für unsere Vorstellungskraft wirklich anziehend ist.“
Eden’s Edge besteht aus neun Kapiteln. Immer gleich inszeniert. Immer aus gleicher Höhe erzählt. Dabei ist der Film eigentlich ein Roadmovie. Besser: die Verdichtung eines Roadmovies. Der ausgelassene Ritt über die Highways wird hier gnadenlos gedrosselt und auf die wesentlichen Orte einer Erzählung reduziert.
Mindestens genauso interessant wie der Film selbst ist die Geschichte hinter der Geschichte. Da findet sich nämlich ein echter Roadtrip. Von Wien in die Wüste Kaliforniens. Vom dortigen Winde nach Hollywood verweht. Nach einem kurzen Abstecher nach Sotschi dann die Rückkehr nach Wien.
Der Reihe nach. Am Beginn von Eden’s Edge steht ein Förderprogramm – PEEK. Das administrative Fundament für die kreativen Luftsprünge. PEEK steht für Programm zur Entwicklung und Erschließung der Künste des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF). Es geht um künstlerische Forschung. Nicht nur Physiker, Mathematiker oder Biologen forschen. Auch die Kunst strebt voran. „Künstlerische Forschung ist jene, die die Kunst als Methode dafür verwendet, Erkenntnisse zu generieren“, meint Alexander Damianisch von der Angewandten.
Von der Wüste bis nach Sotschi sind es 2 ½ Stunden mit dem Auto
Gerhard Treml ist ein österreichisch-amerikanischer Künstler und ehemaliger Student an der Angewandten. Aus dem Studenten wurde ein Lehrender. Tremls Idee war es, subjektivem Raumempfinden filmisch nachzuspüren.
Im März 2012 versammelt Treml ein Team aus acht künstlerischen Forschern aus unterschiedlichsten Disziplinen um sich. Mit an Bord ist ein Anthropologe, eine Kulturwissenschaftlerin, eine Psychologin, ein Landschaftsdesigner oder ein Drehbuchschreiber. Das internationale Team macht sich auf den Weg in die kalifornische Wüste. Joshua Tree heißt das Ziel. Dort werden die Bewohner zum Casting für Geschichten geladen. Neun von ihnen schaffen es in den Film. Wie sind sie mit der Wüste verbunden? Welche Orte sind in ihrem Leben relevant? Das wollen die Filmemacher herausfinden. Immer wieder treffen sie ihre Erzähler. So lange, bis die neun Geschichten rund sind, bis der Entwurf für die späteren Film-Orte greifbar wird.
Sotschi kommt aus Burbank, Los Angeles.
Doch in der Wüste bläst der Wind. Unmöglich aus der geplanten Höhe zu filmen. „Wir konnten die Position über dem Ort nicht einnehmen, ohne verblasen zu werden“, erinnert sich Treml. Die Lösung liegt 2 ½ Autostunden entfernt. In Hollywood. „Wir gingen in ein Hollywood Studio, um uns zu informieren, wie die Profis Orte simulieren. Und als wir ein Filmstudio in North Hollywood besuchen, sehen wir: Sotschi. Die machen gerade die Werbung für die Olympischen Spiele in Sotschi. Aus Pappmaché und Backpulver.“ Vladimir Putin lässt sich also sein Lieblingsprojekt von den Profis in Hollywood inszenieren? Mütterchen Russland als amerikanische Replik?
„Ja, die Landschaft Sotschis entsteht für ein Weltpublikum in Burbank, Los Angeles“, fährt Treml fort. „Die Wahrnehmung von Sotschi wird in Los Angeles produziert. Wo die Produktion von Wirklichkeit stattfindet, ist relativ. Wesentlich ist, dass es medial wirkt und zu den Bedeutungen führt, die Verhalten und Nutzung eines Ortes bestimmen.“ Wenn die Vision von Olympischen Spielen im Studio geschaffen werden kann, dann geht das auch für die neun Geschichten aus der kalifornischen Wüste. Es geht zurück nach Wien. Die Hollywood Tricks mit im Gepäck.
Mein Sessel
Jeder kennt diese oft geheimen, intimen Bedeutungswelten. Nur spricht man selten offen darüber. Dass der gemütliche Sessel in der Ecke des Wohnzimmers in Wirklichkeit ein spezielles Revier markiert. Dass dort zu sitzen, eine besondere Bedeutung hat. Intensives Nachdenken über Freund, Freundin, Geldsorgen, etc. etwa. Von außen erkennt man diese unsichtbaren Rhythmen und die Bedeutung des Sessels nicht. Gerhard Treml und sein Team haben diesen Sessel in neun Geschichten gesucht, gefunden und filmisch übersetzt. Nur, dass es in Eden’s Edge um keinen Sessel geht, sondern um lebensentscheidende Orte.
Turtle Island
Klingt verkopft? Dieser Clip hilft:
„In Turtle Island geht es um eine Leidensgeschichte der Schizophrenie“, erzählt Treml über eine der neun Episoden. Ein namenloser Mann „erlebte die institutionalisierte Behandlung von Schizophrenie, er wurde diffamiert und hatte immer den Eindruck, dass das nicht stimmt.“ Dann, so erzählt der Mann, zieht er sich in die Wüste zurück. Er entdeckt den Schamanismus, die Tradition seiner indianischen Vorfahren, und damit eine neue Deutung seiner Schizophrenie. Plötzlich wird die Krankheit zur Fähigkeit. Der Parkplatz im Film steht für sein Erleben der „medizinischen Verwaltung“ von Schizophrenie. 28 Plätze gibt es da. Einen für jeden Schizophrenen im lokalen Bezirk. Aber, so Gerhard Treml, „der Schamanismus sagt ihm, deine Fähigkeiten sind heilender Natur. Dafür steht das Medizinrad. Der Konflikt zwischen kategorisierender, medizinischer Diffamierung seiner Existenz und Einbettung seiner Fähigkeiten in die Tradition einer bestehenden indigenous culture. Im Film bewegt er sich in diesem Bild, aber sein ganzes Leben lang befand er sich in diesem Konflikt. Wir haben diese Konfliktsituation verräumlicht“, sagt Gerhard Treml.
Eden’s Edge versucht, sichtbar zu machen, was verborgen ist. Zu zeigen, was nicht wahrnehmbar wäre ohne Kunst. Mehr zum Film gibt’s hier.
Gewinnspiel:
Wer Eden’s Edge sehen will – einfach den Facebook-Beitrag mit „Gefällt Mir“ markieren. Schrödingers Katze verlost unter den Likes 1×2 Tickets für die Vorstellung von Eden’s Edge im Rahmen der Viennale. Termin: 03.11.2014 um 11.00 Uhr im Wiener Stadtkino im Künstlerhaus.