Schrödingers Katze Schrödingers Katze

Der österreichische Wissenschaftsblog
42.000+ Fans

15. Oktober 2015

Maßgeschneiderte Medizin

Von Schrödingers Katze
Medizin
Egal ob Katze, Gänseblümchen oder Mensch – im Kern sind alle gleich. Aufgebaut aus mikroskopisch kleinen Zellen, unterscheiden wir uns zu Beginn nur durch unsere Erbinformation: die DNA. Dieser Speicher enthält den individuellen Bauplan eines jeden Lebewesens. In diesem Kontext geistern aktuell auch Begriffe wie personalisierte oder auch maßgeschneiderte Medizin regelmäßig durch die Medien. Schrödingers Katze versucht gemeinsam mit den Medizinern Dr. Walter Krugluger und Dr. Leonhard Müllauer von der MedUni Wien einen Überblick zu geben.

Die Individualisierung in allen Lebenslagen macht auch vor dem Gesundheitswesen nicht Halt. Hier wird über Klonen und Stammzellen philosophiert, dort über das Aussuchen von Haar– und Augenfarbe der Kinder diskutiert. Doch neben Erinnerungen an Science Fiction Romane oder Zukunftsvisionen von Designer Babies sind die Assoziationen zu aktuellen gentechnischen Entwicklungen meist äußerst limitiert. Mit welchem Werkzeug die Ärzte von morgen tatsächlich arbeiten werden, beantworten wir mit einer Reise zum mikroskopischen Ursprung des Lebens.

Der molekulare Bauplan

Gemeint ist die DNA. Diese lässt sich metaphorisch wie ein Buch mit Millionen an Seiten beschreiben. Bestimmte Kapitel – die sogenannten Gene – enthalten sämtliche Informationen darüber, wie ein jedes Lebewesen aufgebaut ist. Zuvor müssen sie aber in eine “andere Sprache” – die RNA – umgeschrieben werden.

In der DNA ist eine Kopie der Erbinformation gespeichert, die als Bauplan für den lebenden Organismus dient. Bestimmte Abschnitte werden Gene genannt. Sie können abgelesen und bei Bedarf in RNA übersetzt werden. Auf deren Grundlage werden anschließend die Proteine zusammengebaut.
In der DNA ist eine Kopie der Erbinformation gespeichert, die als Bauplan für den lebenden Organismus dient. Bestimmte Abschnitte werden Gene genannt. Sie können abgelesen und bei Bedarf in RNA übersetzt werden. Auf deren Grundlage werden anschließend die Proteine zusammengebaut.

Aus dem übersetzten Bauplan können nun Proteine hergestellt werden, die Form und Funktionalität eines Organismus bestimmen und regulieren. Teilt sich eine Zelle – zum Beispiel beim Wachsen der Haare – muss wiederum die gesamte DNA kopiert werden. Doch weder dieser Schreib–, noch der Leseprozess verlaufen reibungslos – im Leben eines jeden Menschen treten unzählige Fehler – sogenannte Mutationen – auf.

Mit diesen Veränderungen beschäftigen sich unter anderem auch die drei diesjährigen Chemie–Nobelpreisträger Thomas Modrich, Paul Lindahr und Aziz Sancar, die sich der Untersuchung von potentiellen Reparaturmechanismen für beschädigte DNA–Abschnitte verschrieben haben.

Die Preisträger Thomas Lindahl, Paul Modrich und Aziz Sancar haben grundlegende Funktionen von lebenden Zellen offen gelegt, indem sie jahrelange verschiedene Mechanismen für die Reparatur beschädigter DNA untersucht hatten.
Die Preisträger Thomas Lindahl, Paul Modrich und Aziz Sancar haben grundlegende Funktionen von lebenden Zellen offen gelegt, indem sie jahrelange verschiedene Mechanismen für die Reparatur beschädigter DNA untersucht hatten.

Lost in Translation

Meistens sind Mutationen stumm, das heißt die Veränderung der DNA hat keinen Einfluss auf das daraus entstehende Protein, geschweige denn die Gesundheit des Menschen. Bestimmte Veränderungen können jedoch Krankheiten auslösen – oder beeinflussen, ob und wie ein Medikament bei einem Patienten wirkt.

Univ.–Doz. Dr. Krugluger (SMZ Ost) sprach beim Colloquium der Gesundheit Österreich zum Thema der maßgeschneiderten Medizin. Seiner Meinung nach werden Begrifflichkeiten “je nachdem, mit wem man redet, unterschiedlich verstanden.” Der aktuelle Fortschritt – sowie der daraus entstandene Hype – beschäftige sich aber in erster Linie mit dem Treffen “medizinischer Entscheidungen auf Grundlage des genetischen Profils.”

Verschiedene Menschen reagieren auf die gleiche Therapie unterschiedlich. Individuelle genetische Profile können auch Aufschlüsse darüber liefern, warum bestimmte Medikamente bei manchen Patienten mehr Schaden als Nutzen anrichten.
Verschiedene Menschen reagieren auf die gleiche Therapie unterschiedlich. Individuelle genetische Profile können auch Aufschlüsse darüber liefern, warum bestimmte Medikamente bei manchen Patienten mehr Schaden als Nutzen anrichten.

Entsprechende Methoden und Technologien, die individuelle Veränderungen in der DNA untersuchen, haben in den letzten Jahren eine enorme Entwicklung durchgemacht. Daraus entstanden bisher Therapiemöglichkeiten, mit denen Nebenwirkungen von Medikamenten minimiert und ein höheres Maß an Wirksamkeit erzielt werden können.

Ursachen auf der Spur

Im Kontext der Krebsmedizin bedeutet das, „die Therapie auf die für den Tumor typischen molekularen Veränderungen auszurichten,“ erklärt Dr. Leonhard Müllauer vom Forschungsprojekt MONDTI am Wiener AKH – denn selbst zwei „gleich ausschauende“ Tumore von zwei verschiedenen Patienten unterscheiden sich in Art und Zahl genetischer Veränderungen –und in daher auch in potentiellen Behandlungsmöglichkeiten.

Werden sie entsprechend identifiziert, können sogenannte „targeted therapies“ eingesetzt werden. Dafür werden Medikamente verwendet, deren Wirkung auf eine spezifische genetische Veränderung zugeschnitten sind. Hilfreich, dass inzwischen eine ganze Reihe an Mutationen bekannt sind, die mit verschiedenen Varianten von bestimmten Krankheiten assoziiert sind.

Präventiv – also ohne bestehenden Verdacht auf Erkrankung – werden personalisierte Ansätze bisher nur bei familiären Tumorsyndromen eingesetzt: „Zum Beispiel die Bestimmung des BRCA1/2 Genstatus bei Brust–und Eierstockkrebs“  – wie zuletzt wieder in den Medien berichtet wurde.

Aufgrund des enormen Potentials erfreut sich die personalisierte Medizin in Fachkreisen großer Beliebtheit. Was Wissenschaftler tagtäglich bewegt, erregt innerhalb der Gesellschaft – mit wenigen Ausnahmen – bisher kaum Aufsehen.
Aufgrund des enormen Potentials erfreut sich die personalisierte Medizin in Fachkreisen großer Beliebtheit. Was Wissenschaftler tagtäglich bewegt, erregt innerhalb der Gesellschaft – mit wenigen Ausnahmen – bisher kaum Aufsehen.

Bewusstsein der Gesellschaft

Wäre das Wissen über die aktuellen Möglichkeiten und zukünftige Entwicklungen bereits vollständig in der Öffentlichkeit angekommen, „müsste der Ruf nach einem Ausbau der molekularen Diagnostik in den Krankenhäusern entstehen“, meint Dr. Müllauer, aber „die Betroffenen scheinen wenig informiert.“

Einen weiteren Grund für Zurückhaltung sieht Dr. Krugluger in der ökonomischen Perspektive auf das Gesundheitssystem. Je individueller die Behandlungen, desto größer der Aufwand: „Es wird in Zukunft nicht einfach werden, tatsächlich alles im Auge zu behalten und – ohne technische Hilfsmittel, die Abhilfe schaffen – klinische Abläufe nicht zu überfordern.“

„Tatsächlich für einen einzelnen Patienten eine Therapie zu entwickeln ist momentan industriell nur schwer machbar.“ Mit dieser Herausforderung der klinischen Umsetzung von wissenschaftlichen Erkenntnissen gehen natürlich auch Gefahren einher, dass aufgrund wirtschaftlicher Interessen medizinische Entscheidungen getroffen werden.

Dank der technologischen Fortschritte konnten Biologen und Ärzte bereits eine Fülle an Genen entschlüsseln. Trotzdem ist das umfangreiche Wissen noch zu komplex, um in der klinischen Praxis flächendeckend eingesetzt zu werden.
Dank der technologischen Fortschritte konnten Biologen und Ärzte bereits eine Fülle an Genen entschlüsseln. Trotzdem ist das umfangreiche Wissen noch zu komplex, um in der klinischen Praxis flächendeckend eingesetzt zu werden.

Herausforderung der Wissenschaften

Allerdings könne dem vor allem „gute objektive Wirksamkeitsstudien, kritisches Denken und eigenständige akademische Forschung entgegenwirken“, resümiert Dr. Müllauer. Was bislang in erster Linie nur für Krebspatienten vorgesehen war, könnte mit den entsprechenden Schritten also bald in anderen Disziplinen zum medizinischen Standard gehören.

Dafür benötigt es aber ein komplexes Konstrukt an wissenschaftlichen Perspektiven, um zuverlässig Therapien für bestimmte Patienten auf Grundlage des genetischen Profils zu erarbeiten. „Ich denke, es braucht noch sehr viel Zeit“, meint Dr. Krugluger zum Abschluss, „und die sollten wir uns auch nehmen.“

Während die Medizin noch mit der Komplexität der individuellen Vielfalt zu kämpfen hat, ist Personalisierung in anderen Bereichen bereits in der Gegenwart angekommen. Mehr darüber berichten wir bald in Teil 3 unseres Schwerpuntks zum Thema Customizing.

Text: Philipp Greiner

Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von Facebook Like-Button zu laden.

Inhalt laden


Teile den Beitrag auf

Facebook
Twitter
Monatliche Updates in deiner Inbox!

Diese Artikel solltest du ebenfalls lesen

  • Ein junger Mann ist von hinten zu sehen, er hat seinen Kopf nach unten gesenkt.

    Depressionen: Männer haben andere Symptome

    Februar 9, 2023
  • Die Hand eines Babys greift nach der Hand eines Erwachsenen.

    Vom Baby bis zum Teenager: Mit allen Sinnen

    Januar 25, 2023
  • Eine Hand in Handschuhen, die auf ein Tablet zeigt, ist zu sehen. Auf dem Tablet sind Röntgenaufnahmen von Zähnen abgebildet.

    Künstliche Intelligenz in der Zahnmedizin

    Januar 19, 2023
« Junge Forschung im Wordrap
Junge Forschung im Wordrap »

Aktiv werden

Katzenpost

PapierfliegerDu hast Vorschläge zu Themen, die wir behandeln sollen? Dann schick sie uns!

Mit der Verwendung des Kontaktformulars nimmst du unsere Datenschutzerklärung zur Kenntnis.

    Zum Absenden des Formulars muss Google reCAPTCHA geladen werden.
    Google reCAPTCHA Datenschutzerklärung

    Google reCAPTCHA laden

    Schrödingers Katze
    • › Impressum
    • › Datenschutz
    • › Über uns
    • › Kontakt