Kamele sind ungefähr zwei bis drei Meter groß, wiegen zwischen 450 und 650 Kilogramm und gelten als genügsam und anpassungsfähig. Mit den Schwielensohlern verbinden wir die Wüste mitsamt ihren extremen Temperaturen, intensiven Sonnenstrahlen und starken Winden. Doch die Tiere – und das mag überraschend sein – lebten lange Zeit auch in Europa. Pamela Burger ist an der Veterinärmedizinischen Universität Wien tätig und kennt die Geschichte der Kamele in Europa, erst kürzlich publizierte sie mit Kolleg*innen eine Studie dazu. Sie sagt: „Kamele waren vor allem während des Römisches Reichs in ganz Europa verbreitet. Sie wurden als Lasttiere, aber auch für Fleisch- und Milchproduktion eingesetzt. Ab dem Mittelalter waren Kamele primär auf der Iberischen Halbinsel – Spanien und Portugal – präsent, und ab 1400 auch auf den Kanarischen Inseln, wo sie als Arbeitstiere auf dem Feld, für Transporte und auch in Mühlen als Zugtiere eingesetzt wurden. In der Renaissance und bis ins 18. Jahrhundert waren Kamele eher exotische Lebewesen, die ausgestellt und gern von Adeligen als Statussymbol gehalten wurden.“ Während der Belagerungen Wiens 1529 und 1683 spielten Kamele ebenso eine Rolle: „Aus der Zeit der zweiten Belagerung Wiens stammt das einzig vollständig erhaltene Kamelskelett Europas, das 2015 in Tulln ausgegraben wurde“, weiß die Expertin.
Kamele in Europa
Kamele waren in Europa also vor allem während des Römischen Reiches und im Mittelalter präsent, danach wurden sie hauptsächlich in zoologischen Gärten und Zirkussen gehalten. Lediglich auf den Kanarischen Inseln hatten Kamele bis weit ins 20. Jahrhundert hinein eine ökonomische und kulturelle Bedeutung. Auch heute befindet sich die größte Kamelpopulation Europas auf den Kanarischen Inseln, erklärt Pamela Burger. Hier werden die Tiere vor allem für den Tourismus eingesetzt. „Die größte Kamelfarm, auf der Milch erzeugt wird, befindet sich in den Niederlanden. In Frankreich und Deutschland gibt es ebenfalls bereits einige kleinere Betriebe, die Kamele neben Tourismus auch für Milch halten. Weitere Länder mit Betrieben sind die Schweiz und Polen. In Österreich werden Kamele vor allem für Tourismus und zunehmend auch für tiergestützte Therapie verwendet. In fast allen europäischen Ländern sind Kamele in Zoos und Zirkus zu finden“, führt Pamela Burger aus. Expert*innen gehen davon aus, dass heute 5.000 bis 6.000 Kamele in Europa leben.
Kamele als Nutztiere
Und die Expert*innen sind sich sicher: Kamele stehen vor einem Comeback in Europa. Sie können auch bei uns wieder vermehrt für Tourismus, Fleisch-, Milch- und Wollproduktion sowie für tiergestützte Therapie eingesetzt werden. Um die Kamelzucht in Europa zu fördern, braucht es rechtliche Bestimmungen: „Alle kleinen (Neuweltkamele) und großen (Altweltkamele) Kameliden sollten als Nutztiere registriert werden und würden somit unter die Kategorie landwirtschaftliche Nutztiere fallen. Damit könnten die Kamelzüchter*innen auch um Förderungen für eingetragene Zuchtverbände ansuchen“, plädiert Pamela Burger. In den Niederlanden wurde ein Gesetz erlassen, dass Kamele (konkret Dromedare, eine Unterart der Kamele) von der Liste der erlaubten Haustiere gestrichen hat. Für Pamela Burger ist diese Regelung nicht nachvollziehbar, ihrer Meinung nach schadet sie der erfolgreichen Kamelzucht in den Niederlanden. „Einheitliche EU-weite Regelungen würden die Planbarkeit und Investitionen in Kamelzucht erleichtern“, ist sich die Expertin sicher.
Verschiedene Herausforderungen
Aktuell stehen die Tierhalter*innen in Europa vor einigen Problemen beim Aufzucht der Kamele: „Kleine Populationsgrößen, zersplitterte und geografisch weit verstreute Zuchtbemühungen und das Fehlen eines auf Kamele zugeschnittenen Rechtsrahmens“, sagt Pamela Burger. Zudem fehlen Zuchtorganisationen, Zuchtregister, genetische Bewertungssysteme sowie eine geringe Reproduktionsleistung und ein gegenwärtig schlechtes Reproduktionsmanagement der Tiere.
Andererseits haben Fortschritte im Bereich der Genomik, das ist systematische Erfassung und Analyse aller DNA-Sequenzen eines Genoms, neue Möglichkeiten für das genetische Management von Kamelen in Europa geschaffen. Gerade diese Erkenntnisse geben jedoch auch Anlass zur Besorgnis, und zwar über die geringe genetische Vielfalt der in Europa beheimateten Tiere. „Um diese Probleme zu lösen, sind koordinierte internationale Anstrengungen, eine standardisierte Erfassung von Phänotypen (darunter versteht man das äußere Erscheinungsbild eines Lebewesens, Anm. d. Red.) und verbesserte Tierschutzrichtlinien erforderlich“, betont Pamela Burger.
Kamele und in der Klimawandel
Kamele sind alleine schon aufgrund ihrer Anpassungsfähigkeiten an den Klimawandel wichtige Tiere: Sie kommen hervorragend mit trockenem und heißem Klima zurecht und liefern auch unter sehr schwierigen Bedingungen Milch sowie Fleisch. Pamela Burger führt aus: „Kamele haben die Fähigkeit, ihre Körpertemperatur an die Umgebungstemperatur anzupassen. Zudem können sie den Verlust von Wasser durch Ausscheidung in Urin und Kot minimieren und sie können ebenso Wasserverlust in der Ausatmungsluft über die Nasenschleimhaut minimieren.“ Aufgrund des Klimawandels sind immer mehr Nutztiere – auch in Europa – von Hitzestress betroffen; vor allem Schweine und Rinder, aber auch Wildtiere leiden unter den hohen Temperaturen. Damit Nutztiere besser mit dem Klimawandel zurechtkommen, gibt Pamela Burger abschließend Empfehlungen: Die Tiere sollten unter günstigen Haltebedingungen – mit ausreichend Auslauf, Schatten und Wasser – gehalten werden. Zudem können hitzeresistente Tierrassen gezüchtet werden – oder man setzt gleich auf Kamele.
