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1. Juni 2016

Der Ekel, unser Freund und Helfer?

Von Schrödingers Katze
Medizin
Spinnen, verdorbenes Essen, Nacktschnecken oder Erbrochenes – die Liste der Dinge, vor denen man sich ekelt, ist lang. Wozu ist dieser Ekel eigentlich gut? Und was tun, wenn er zu einer krankhaften Störung wird? Schrödingers Katze hat bei der Klinischen Psychologin Dr. Anne Schienle, die dem unangenehmen Gefühl auf der Spur ist, genauer nachgefragt.

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Es ist Montagfrüh, Mama schmiert gerade das Jausenbrot und greift auf der Suche nach der Brotdose in den Schulranzen – beim Anblick des Inhaltes wird ihr aber ganz anders: Grüner Schimmel ziert die Überreste eines längst das Zeitliche gesegneten Käsebrots, die Mutter verzieht angewidert ihr Gesicht, Ekel macht sich breit.

Diese Emotion ist eine der unangenehmsten in unserer breiten Gefühlspalette, sie entsteht jedoch nicht grundlos: „Ekel wird als eine Krankheitsvermeidungsemotion verstanden“, erklärt Anne Schienle, Leiterin des Arbeitsbereichs Klinische Psychologie an der Universität Graz. „Das heißt, er soll uns vor potentiellen Krankheitserregern schützen und motiviert uns, lieber Abstand von solchen Dingen zu halten.“

An der Universität Graz wird mittlerweile seit mehreren Jahren mithilfe eines Magnetresonanztomographen (MRT) an der näheren Erforschung dieser Emotion gearbeitet. Mit den MRT-Aufnahmen wird erkennbar, welche Bereiche im Gehirn Ekel auslösen. Dazu meint Anne Schienle: „Es wird keine bestimmte Region aktiviert, sondern vielmehr ein großes Netzwerk an Arealen, die entweder mit der körpereigenen Repräsentation zu tun haben oder Bewertungsprozesse betreiben.“ Sich zu ekeln ist also ein komplexer Prozess für unser Gehirn, der gleich mehrere Regionen beansprucht.

Grimasse aus grauer Vorzeit

Evolutionsbiologen gehen heute davon aus, dass Ekel vom Ursprung her eine nahrungsbezogene Emotion ist. „Die typische Ekelmimik ist durch einen geöffneten Mund und eine herausgestreckte Zunge gekennzeichnet“, meint Dr. Schienle im Interview. „Evolutionsbiologisch gesehen ist das ein Überbleibsel eines Würgereflexes.“ Der Muskel, der für die Ekelgrimasse verantwortlich ist, heißt Levator Labii („Lippenheber“) und hat mit seiner Funktion schon unsere Vorfahren vor giftigen Pflanzen und verdorbenem Essen bewahrt.

Zitronen lösen nicht nur bei Babys die Mikik des Ekels im Gesicht aus. Bild: Nadia Phaeneuf, Flickr.
Zitronen lösen nicht nur bei Babys die Mikik des Ekels im Gesicht aus. Bild: Nadia Phaeneuf, Flickr.

Universales Grauen

Die angeekelte Mimik findet man übrigens in allen Kulturen, auf der ganzen Welt – sie ist somit universal vertreten. Beobachten kann man sie auch schon bei unseren Kleinsten, wenn sie auf unbekannte Geschmäcker stoßen: Die erste, saure Zitrone eines Babys ist durch unzählige Youtube-Compilations mittlerweile zum Internet-Evergreen mutiert und demonstriert das evolutionsbedingte Überbleibsel in all seinen Facetten.

Wenn dich der Ekel nicht mehr loslässt

Als Krankheitsvermeidungsemotion ist Ekel im Alltag prinzipiell eine sinnvolle Errungenschaft unseres Körpers, der uns vor schädlichen Nahrungsmitteln bewahren soll. Er kann allerdings auch in exzessiven Fällen als psychische Störung das eigene Leben zur Ekel-Hölle machen.

„In der Klinischen Psychologie haben wir es oft mit Patienten zu tun, die unter unkontrollierbaren Ekelgefühlen leiden, wie zum Beispiel Waschzwangstörungen“, erklärt Uni-Professorin Schienle. Weitere Erkrankungen wie Spinnenphobie, Borderline-Syndrom oder Blutphobie gehen ebenso Hand in Hand mit einem unerträglichen Ekel, der laut Schienle in den meisten Fällen mit einer Therapie überwunden werden kann.

Während einer Studie an der Universität Graz konnten mittlerweile auch Erfolge mit einem Placebo gegen Ekel im Test mit dem Magnetresonanztomographen festgestellt werden. „Das Ekelgefühl bei Patienten, denen das Placebo als vermeintliches Naturheilmittel gegen Übelkeit verabreicht wurde, konnte sogar halbiert werden“, erzählt Dr. Schienle. „Bei den MRT-Aufnahmen konnte man diese Veränderungen auch deutlich sehen.“

Andere Therapieformen wie die Expositionstherapie, bei der man mit seinen Ängsten stufenweise konfrontiert wird, lassen ebenfalls auf deutliche Verbesserungen im Krankheitsverlauf hoffen und helfen dem Patienten, das Empfinden von Ekel wieder auf ein sinnvolles Niveau zurückzuführen.

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Anne Schienle, Leiterin des Arbeitsbereichs Klinische Psychologie an der Universität Graz.

Autorin: Michaela Pichler

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