In Österreich gab es 2021 1,76 Millionen Ehepaare und 441.000 Lebensgemeinschafts-Haushalte, der Großteil der Erwachsenen lebt also in einer Beziehung (Quelle: Statista). Es gibt aber auch Menschen, die zwar einen Kinderwunsch verspüren, aber diesen nicht innerhalb einer Beziehung bzw. Ehe ausleben wollen oder können; etwa Singles oder homosexuellen Menschen steht daher die Website familyship.org zur Verfügung. Deren Ziel besteht darin, Menschen mit Kinder- aber ohne entsprechendem Beziehungswunsch zu vernetzen. Die beiden Moraltheologinnen der Universität Salzburg, Angelika Walser und Bernadette Breunig, untersuchen neue Formen von Familie bzw. Elternschaft im Rahmen einer vom FWF geförderten empirischen Studie.
Bisher wurde das Thema Co-Parenting, also die Gründung von Familien auf freundschaftlicher Basis, in der theologischen Ethik nicht berücksichtigt, wie Angelika Walser auf Nachfrage mitteilt: „Wir betreten da wirklich Neuland und sind die ersten, welche eine theologisch-ethische Bewertung überhaupt versuchen.“
Für ihre Dissertation interviewte Bernadette Breunig User*innen der Plattform familyship.org. Die Interviewten nannten dabei unterschiedliche Gründe, warum Co-Parenting für sie in Frage kommt: So wünschen sich die Befragten zwar ein Kind, konnten diesen Wunsch bisher aber nicht umsetzen. Zur Überraschung der beiden ist die Mehrheit der befragten Personen nicht homosexuell, sondern es sind heterosexuelle Frauen, die bisher keinen Partner haben. Dazu Angelika Walser: „Viele dieser Frauen lehnen ausdrücklich die Anonymität einer Samenspende ab und möchten eine Familie gründen, in der beide Elternteile gleichberechtigt Verantwortung übernehmen. Romantische Beziehungen inklusive Sexualität erachten sie als eher instabil und unzuverlässig. Freundschaftliche Beziehungen seien ‚vernünftiger‘.“ Walser betont, dass ihre Dissertantin Bernadette Breunig qualitiv forsche, ihre Ergebnisse also nicht repräsentativ seien, jedoch gebe es ebenso Soziolog*innen – wie etwa Christine Wimbauer – deren Forschungsergebnisse ebenfalls in diese Richtung weisen.
Vor- und Nachteile von Co-Parenting
Angesprochen auf die Vorteile von Co-Parenting, erinnert Walser daran, dass es noch zu früh sei, um diese zu benennen, da das Konzept über eine digitale Plattform eine Person zu finden, mit der man auf freundschaftlicher Basis ein Kind bekommt, noch zu jung sei. Die Interviewpartner*innen gaben jedoch an, diese Form der Elternschaft als vernünftiger zu sehen, da freundschaftliche Arrangements mehr Stabilität sowie mehr Gleichberechtigung zwischen den beteiligten Eltern bringen. Hinsichtlich der Nachteile lässt sich bisher festhalten, dass vor allem die Frage der Beziehungsdynamik eine essentielle sei: Wie verändert sich etwa die Beziehung, wenn beide Elternteile in einer neuen romantischen Partnerschaft leben wollen? Angelika Walser betont an dieser Stelle: „Wir anerkennen die hohe Motivation, für das Wohl des Kindes zu sorgen und zwar wirklich nicht nur in minimaler, sondern in maximaler Hinsicht. Doch können ambitionierte Projekte auch sehr schnell an der Realität scheitern. Was passiert, wenn das Kind beeinträchtigt sein sollte? Was passiert, wenn einer der Elternteile krank wird und nicht mehr in der Lage ist, seinen Beitrag bei der Kindererziehung zu leisten?“
Neue Möglichkeit zur klassischen Familie
Ein weiteres Merkmal, das sich zeigt, ist die Sprache: Diese erinnere sehr stark an die Arbeitswelt, so Walser. Es sei vom „Projekt Kind“, „Arbeitsverteilung“, „Absprachen und Regelugen“ die Rede. „Allein die Sprache verrät, wie stark das Konzept von ‚Verfügbarkeit‘, ‚Planbarkeit‘ und ‚Kontrollierbarkeit‘ alles dominiert. Bekanntlich sind Kinder und familiäre Konstellationen aber häufig eben genau das Gegenteil von all dem“, erinnert Walser. Die beiden Theologinnen seien daher gespannt, wie solche Familienkonstellationen mit Überraschungen und Erschütterungen umgehen werden. Einen richtig großen Trend hin zum Co-Parenting sehen Walser und ihre Dissertantin Breunig jedoch nicht, vielmehr sei Co-Parenting eine neue Möglichkeit, die eben einige ausprobieren werden. „Dass damit die klassische Familiengründung ad acta gelegt wird, dafür gibt es überhaupt keine Anzeichen“, resümiert Walser.
Elterliche Verantwortung und Wohl des Kindes
Auf die Frage, ob sich beim Co-Parenting die elterliche Verantwortung ändere, antwortet Walser, dass sie und Breunig nicht glauben, dass das Wohl des Kindes gefährdet sei, denn die Intention von Co-Parenting sei eine gute. „Wir sehen hier (entgegen anfänglichen Befürchtungen) keine echte Gefahr, die es in anderen Beziehungs- und Familienformen nicht auch gäbe.“ Aber es brauche einen rechtlichen Regulierungsbedarf für die beteiligten Erwachsenen. Schlussendlich erinnert die Theologin daran, dass beim Co-Parenting unterschiedliche Formen von Freundschaften bestehen: „Es wird Freundschaften geben, die wirklich auf dem Wunsch gründen, dass es dem anderen gut gehen soll (die alte aristotelische ‚Tugendfreundschaft‘). Und es wird ‚Zweckfreundschaften‘ geben, die sehr rasch nach Geburt des Kindes enden, weil der Zweck der Beziehung erfüllt ist. Hier könnten sich die Erwachsenen als viel vulnerabler erweisen als gedacht.“
Sicht der katholischen Kirche
Als Theologinnen sind Walser und Breunig natürlich daran interessiert, wie die katholische Kirche neue Formen von Familie und Elternschaft – wie eben Co-Parenting – bewertet. Angelika Walser merkt an, dass die katholische Kirche weiterhin alle Methoden der künstlichen Befruchtung ablehne. „Allerdings hat der jetzige Papst mit seinem Schreiben ‚Amoris Laetitia‘ neue Räume eröffnet, welche die Anerkennung und Würdigung nichtehelicher Partnerschafts- und Familienformen endlich ermöglichen“. Walser erinnert ebenso daran, dass es in der katholischen Tradition schon immer eine Wertschätzung der Freundschaft gegeben habe – und zwar in allen Beziehungen, in der Ehe und auch außerhalb der Ehe. „Co-Parenting wäre unserer Meinung nach ein Beispiel für genau solch eine Würdigung und Anerkennung. Ob Co-Parenting in gegengeschlechtlichen oder gleichgeschlechtlichen Partnerschaften stattfindet, ist dabei zweitrangig“, so Angelika Walser abschließend.
