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Ein älterer Mensch sitzt im Rollstuhl, vor ihm ist ein Bett zu sehen.
17. Dezember 2025

Philosophieren angesichts des Lebensendes 

Von Schrödingers Katze
Philosophie & Geschichte
Im Zusammenhang mit Sterben, Tod und Trauer stellen sich existenzielle Fragen – die Hinwendung zu Philosophischer Praxis kann dabei eine große Unterstützung sein.

Wir alle müssen sterben und manchmal, wenn uns das besonders bewusst wird (aufgrund einer schlechten Diagnose oder weil ein lieber Mensch verstorben ist), kann es sein, dass wir uns bedeutende Fragen stellen –  ob wir unsere Beziehungen gut und tief gelebt haben, ob wir nach unseren Werten gelebt haben oder ob es ein Leben nach dem Tod gibt. Selten gibt es eine eindeutige Antwort, und doch wird es als hilfreich erlebt, mit existenziellen Themen im Gespräch sich zu beschäftigen.. „Der Tod ist ein Kernthema der Philosophie“, sagt Patrick Schuchter. Er ist ausgebildeter Krankenpfleger und studierter Philosoph. Aktuell ist er an der Hochschule Campus Wien tätig. Im Rahmen des Projekts „Philosophische Praxis in Palliative Care und Hospizarbeit“ (CIRAC, Universität Graz und Hochschule Campus Wien, gefördert vom  Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF; FWF P-35627) geht er gemeinsam mit seinen Kolleg*innen der Frage nach, wie Philosophische Praxis, eine Form der außerakademischen philosophischen Tätigkeit, Eingang etwa in die Arbeit von Pflegekräften, von Einrichtungen von Hospizarbeit und Palliative Care und auch in den Alltag Betroffener finden kann.

Philosphie und Pflege

Philosophie und Pflege zu verbinden, ist ein Kernthema für Patrick Schuchter. Er studierte Philosophie und Innsbruck und Paris. Um sich das Studium zu finanzieren, nahm er einen Job als Persönlicher Assistent an und betreute einen Menschen mit Querschnittslähmung. So kam er in Kontakt mit dem Thema Betreuung und Pflege und begann eine Ausbildung zum Diplomierten Gesundheits- und Krankenpfleger. Später arbeitete er an der Universitätsklinik Innsbruck und am AKH Wien. Über die Gemeinsamkeit von Philosophie und Pflege sagt er: „In der Pflege begegnet man Menschen in Situationen, die existenziell berühren und tiefere Lebensfragen aufwerfen – eigentlich die philosophischen Fragen des Lebens. Gleichzeitig hat die Philosophiegeschichte eine enorme Schatzkiste an Auseinandersetzung damit.“ Später begann er – neben seiner Arbeit – in Philosophie zu promovieren.

Sterblichkeit

Der Umgang mit unserer eigenen Sterblichkeit ist überaus bedeutend in der Philosophie, vielleicht sogar der Anstoß zum Philosophieren selbst. „Der Philosoph Karl Jaspers sprach von Grenzsituationen, Situationen, die wir nicht verändern können und in denen wir mit unserer Endlichkeit konfrontiert sind. Dann stellen wir uns die großen Fragen. Einige der bekannten Ursprungstexte der Philosophie von Platon beschäftigen sich mit dem Sterben des Sokrates. Manche Philosoph*innen sprechen auch davon, dass Leben lernen heißt, Sterben zu lernen.“ „Mediatio mortis” nennt man diese bewusste Betrachtung des eigenen Lebens und der damit verbundenen Fragen und Entscheidungen vom Standpunkt des Todes aus – das ist für viele der Schlüssel zum eigentlichen Dasein, erklärt Patrick Schuchter. „Wir wissen – abstrakt – dass wir sterben werden, aber so richtig fühlen und bewusst wissen wir das eigentlich nur in seltenen Momenten. Philosoph*innen waren oft der Ansicht, dass echte Sterblichkeitsempfindung wichtige Momente sind und uns das Dasein in besonders wahrer Weise erhellen. In Hospizen machen Menschen diese Erfahrung ganz konkret. Natürlich ist es auch schmerzhaft, diesen Standpunkt einzunehmen – aber die Erfahrung ist, er macht schlussendlich das Leben lebendiger und die Zeit kostbarer.“

Letzte Fragen

In Palliativeinrichtungen wird zwar über die „letzten Fragen“ gesprochen – aber so gut wie nie wird dabei auf die philosophische Tradition zurückgegriffen. Vielen scheint die Philosophie zu akademisch abgehoben zu sein, manche schreckt bereits das Wort ab – ein Irrtum, wie Patrick Schuchter meint: „Ursprünglich war der eigentlich Ort der Philosophie der Marktplatz, der Alltag, um die täglichen Fragen ins Prinzipielle und Existenzielle zu vertiefen. Philosophische Praktiker*innen nennen sich Menschen in der Gegenwart, die diese Intention und Kunst des philosophischen Denkens und Gesprächs wieder in den Alltag bringen. Man kann von einer Bewegung sprechen, die mittlerweile schon ein Stück weit institutionalisiert ist, etwa in der IGPP, der Internationalen Gesellschaft für Philosophische Praxis.“ Philosophisches Denken und das Wissen rund um philosophische Themen soll demnach wieder stärker in der Gesellschaft verankert werden. Allerdings seien die Qualitätsunterschiede im Feld der Philosophischen Praxis enorm groß. Leider finden sich zum Beispiel auch triviale, missionarische Lebenshilfeangebote unter dem Dach der Philosophischen Praxis. Oft sind die Philosoph*innen, selbst in dieser lebensnahen Form von Philosophie, auch sehr mit ihren eigenen Diskursen und ihrer Selbstfindung beschäftigt und tun sich schwer auf andere Bereiche zu beziehen. Nur ein kleiner Teil – dieser aber dafür in ganz besonderer Weise! – eignet sich auch für das Philosophieren in so einem Themenfeld. Das Forschungsprojekt gibt eben genau darüber auch Aufschluss. „Großes Potenzial – und große Vorsicht!“, meint Schuchter.

Denken öffnen

Die großen Fragen des Lebens sind eigentlich zu jedem Zeitpunkt des Lebens gleich, jedoch stehen sie meist eher im Hintergrund; zu hektisch ist der Alltag, zu mächtig sind unsere Gewohnheiten. Am Ende des Lebens haben diese Fragen eine größere Dringlichkeit – wir können sie nicht mehr aufschieben. „Wenn wir nun an Grenzen stoßen – insbesondere des Lebensendes oder bei Verlusten und biografischen Krisen – dann erfahren wir manchmal diese Fragen aber als ganz real, das erweckt Scheu, aber auch Neugier: Bin ich meinem tieferen Gewissen gefolgt im Leben? Habe ich das gemacht, was wirklich wichtig ist? Was ist Liebe, Schönheit, das Gute – habe ich dafür gelebt oder wurde ich von Gewohnheiten gelebt?“ Oft gelingt es Menschen im Alltag wenig mit der Tiefe in Kontakt zu sein – die Philosophie verschafft uns diese Möglichkeit und gibt uns die Chance, das Leben in einer besonders tiefen Weise wahrzunehmen.

„Damit wird Leid nicht kleingeredet, es ist einfach gleichzeitig: die tiefe Trauer und Ohnmacht, der Schmerz auf der einen Seite – und das Aufleuchten einer Schönheit, die im Staunen über die Tatsache, dass wir überhaupt existieren und mit anderen verbunden sein dürfen, wurzelt, auf der anderen Seite. Ein tiefgründiges philosophisches Gespräch ermöglicht eine ähnliche Verbundenheit wie Menschen, die einander im Hospiz begleiten.“ Der Raum der philosophischen Praxis kann – genau wie der Raum der hospizlichen Sorge – ermöglichen, unser Denken zu öffnen. Für Patrick Schuchter ist klar: Diese Räume dürfen uns nicht genommen werden – sie müssen bewusst gestaltet und „frei“ gehalten werden.

Verbundenheit

„Wir brauchen Räume, in denen wir uns – als Fremde, Unbekannte – als Menschen im Denken berühren, in die Augen sehen ohne weitere Absicht als übereinander und das, was uns widerfährt, zu staunen. Gelungene philosophische Praxis im Hospiz ist dafür auch ein humanistischer Schlüssel.“ Dabei benötigen die großen und eventuell letzten Fragen des Lebens keine eindeutige Antwort. „Im Forschungsprojekt haben wir Einzelgespräche untersucht, dabei zeigte sich deutlich, was Philosophieren ist: das offene Erkunden von Themen, die zutiefst persönlich beschäftigen, aber auf einer allgemeinen Ebene bedacht werden. Es braucht keine Lösung auf ein Problem, keine religiösen Glaubensvoraussetzungen und Antworten, sondern die philosophische Neugier selbst ist eine Pflege der Seele.“ Die Interviewpartner*innen gaben an, dass die Philosophische Praxis sie aus ihrer Trauer holten und mit anderen und dem Leben verband. „Das ist eine ganz philosophische Weise der Verbundenheit – in der geteilten Erfahrung des Menschseins angesichts der Grenzen.“ Auch für die Pflegekräfte bietet Philosophie eine Möglichkeit, um sich selbst und ihr Berufsbild zu reflektieren. 

Aktuelle Projekte

Im Rahmen des Forschungsprojekts haben seine Kolleginnen Sandra Radinger und Stefanie Rieger mit einem Mobilen Palliativteam zusammengearbeitet und philosophische Workshops der deutschen Gemeinde Eningen abgehalten, um Impulse für eine „Caring Community“ zu geben. In der Schweiz und in Norwegen gibt es bereits Konzepte zu philosophischer Seelsorge, in München bietet beispielsweise Judith Tech seit 20 Jahren philosophische Gruppengespräche im Pflegeheim und im Hospiz an, Dietlinde Schmalfuß-Plicht führt eine hospiznahe Philosophische Praxis in Erfurt. Zudem gibt es viele Philosophische Praktiker*innen, die über den Tod und über Trauer sprechen, ohne mit Palliative Care und Hospizarbeit in Kontakt zu sein. Patrick Schuchter betont, dass Philosophie frei und kreativ bleiben muss: „Sie steht für die Freiheit des menschlichen Geistes, auch für die Freiheit der kritischen Betrachtung – nicht für ein weiteres Dienstleistungsangebot auf dem Beratungsmarkt.“ Der Begriff „Praxis“ soll dabei einen Raum andeuteten, der – im Sinne Aristoteles – als „Grundvollzug des menschlichen Geistes, und als wichtige Kulturtechnik oder gar als Lebenskunst“ zu verstehen ist. „Der/die philosophische Praktiker*in ist ein Mensch, der sich Lebensfragen mithilfe und im Austausch mit philosophischen Texten widmet – das prägt und befähigt und lässt sich nicht in ein Modell pressen. Wir haben als Menschen die Aufgabe unser geistiges Wesen ähnlich zu pflegen, wie unseren Leib – und das ist mit einer nicht ganz fassbaren Freiheit verbunden“, betont Patrick Schuchter.

Sandra Radinger, Patrick Schuchter, Stefanie Rieger und Klaus Wegleitner befassen sich mit Hospizphilosophie.
Sandra Radinger, Patrick Schuchter, Stefanie Rieger und Klaus Wegleitner befassen sich mit Hospizphilosophie. © Michael Koerbler

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