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Die geballte Faust eines Mannes im Vordergrund, im Hintergrund eine Frau, die beim Tisch sitzt.
24. Dezember 2024

Femizide: Tödliche Gewalt an Frauen und Mädchen

Von Schrödingers Katze
Gesellschaft
Um Gewalt und Femizide zu verhindern, braucht es Präventionsarbeit und gesellschaftliche Aufmerksamkeit.

Alle zehn Minuten wurde 2023 weltweit eine Frau oder ein Mädchen aufgrund ihres Geschlechts getötet. Das ergab ein Bericht des UNO-Büros für Drogen- und Verbrechensbekämpfung in Wien (UNODC). 2024 zählten die Autonomen Österreichischen Frauenhäuser (AÖF) bisher in Österreich 27 mutmaßliche Femizide sowie 41 Mordversuche bzw. Fälle schwerer Gewalt (Stand: 2. Dezember 2024). Unter Femiziden versteht man laut dem European Institute for Gender Equality die „von privaten und öffentlichen Akteuren begangene oder tolerierte Tötung von Frauen und Mädchen wegen ihres Geschlechts“. Bei 74 % der Femizide in Österreich handelt es sich um Partnerschaftsmorde, vor allem durch den aktuellen oder – seltener – durch einen früheren Partner, das zeigte eine Studie der Konfliktforscherin Birgitt Haller.

Formen von Gewalt

Gewalt gegen Frauen und Mädchen beginnt schon viel früher: „Tatsächlich ist der Mord an Frauen in sozialen Nahbeziehungen nur der letzte Akt einer meist lange vorangegangenen Geschichte der Gewalt“, erklärt Andrea Lehner-Hartmann, Dekanin der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien sowie stv. Sprecherin der dort angesiedelten Forschungsplattform GAIN – Gender: Ambivalent In_Visibilities. Vorstufen von Gewalt können etwa ein besitzergreifendes Verhalten des Mannes sein bzw. Versuche, die Wahrnehmung der Frau in Frage zu stellen. Weitere Vorstufen von Gewalt sind Demütigungen und Drohungen. „Diese psychischen Gewaltformen werden womöglich auch durch physische und sexualisierte Gewaltformen begleitet. Daneben können noch Formen finanzieller Gewalt – wie etwa Geldentzug – vorkommen.“

Gewaltpräventionsberatung und Femizide

Gewalt gegen Frauen und Mädchen kommt in allen sozialen Schichten, Altersgruppen und Kulturen vor, dennoch eint die Täter eines: traditionelle Vorstellungen von Männlichkeit; die Täter glauben an ein hierarchisches, auf biologischen Unterschieden begründetes Gefälle zwischen Männern und Frauen. Wird in Österreich gegen eine Person (meistens ist es ein Mann) nach einem Vorfall ein Betretungs- und Annäherungsverbot ausgesprochen, muss eine Beratungsstelle für Gewaltprävention aufgesucht und ein Termin für eine sechsstündige Gewaltpräventionsberatung vereinbart werden, um zu lernen, Konflikte gewaltfrei zu lösen. 2023 mussten 10.656 Personen beim Verein Neustart so eine Beratung absolvieren. Laut Andrea Lehner-Hartmann ist dies ein „Schritt in die richtige Richtung“, der jedoch nicht für alle Gefährder bzw. Täter ausreicht: „Für etliche von ihnen bräuchte es ein niederschwelliges, über einen längeren Zeitraum hinweg angesetztes Anti-Aggressionstraining.“ Aus diesem Grund begann der ehemalige Minister Wolfgang Mückstein (GRÜNE) mit dem Ausbau einer gewaltpräventiven Männer- und Burschenarbeit. „Damit können Männer, die noch nicht gewalttätig wurden, erreicht werden und alternative Geschlechterbilder, alternative Männlichkeitsvorstellungen, erweiterte Kommunikationsmöglichkeiten sowie einen kontrollierenden Umgang mit Gewaltimpulsen lernen.“ 

Die nachhaltige Gewaltprävention ist Gleichstellung: „Erst jüngst hat eine Studie des Vereins für Männlichkeits- und Geschlechterforschung Steiermark die These bestätigt, dass die Wahrscheinlichkeit für Gewalt in Partnerschaften dort am geringsten ist, wo die Partner*innen ähnlich viel Erwerbsarbeit und ähnlich viel Care-Arbeit in der Familie leisten.“

Hilfsangebote

Auch die Hilfe und Unterstützung für Gewaltbetroffene ist – im europäischen Vergleich – „als relativ gut“ zu bewerten, so die Expertin. Dennoch braucht es ein noch besseres Bewusstsein über die Dynamiken von Gewalt – vor allem für Richter*innen, Polizist*innen, Ärzt*innen, Lehrer*innen sowie Sozialarbeiter*innen. Auch die Medien haben Verantwortung: „Ein genaues Ausschlachten des Tathergangs, die Darstellung der Täter als Monster oder Beschreibungen zum Opfer, die eine Mitschuld geben, bedienen Klischees und befriedigen eher die Sensationsgier.“ Stattdessen braucht es eine Berichterstattung über Femizide, die Auskunft über Ursachen und Bedingungen sowie über die Konsequenzen der Tat gibt. „Unabhängig von aktuellen Fällen wäre es gut, wenn auch darüber berichtet würde, wie Gewaltopfern ein Entkommen aus der Gewaltsituation gelang bzw. wie Gewalttäter es geschafft haben, ihr Verhalten zu ändern.“

Besonders betroffen

Höhere Strafen für Gewalttäter sieht Andrea Lehner-Hartmann kritisch, denn die bestehenden Sanktionen seien ausreichend, sie müssen nur umgesetzt werden. „Bemerkenswert ist allerdings, dass jene, die härtere Strafen fordern, oft ein traditionelles Männlichkeitsbild repräsentieren, Gewalt individualisieren und dazu neigen, sexualisierte Übergriffe und Bemerkungen zu verharmlosen.“ Zudem könnten härtere Strafen zu weniger Anzeigen und Verurteilungen führen.

Frauen mit Migrationshintergrund und/oder mit Behinderungen sind noch stärker von Gewalt betroffen: Erstere durch sprachliche Barrieren, unzureichende Kenntnisse über die rechtlichen Bedingungen und einen erschwerten Zugang zu Hilfsangeboten. Für Frauen mit Behinderung ist das Gewaltrisiko erhöht, wenn sie etwa in Abhängigkeiten leben und daran gehindert werden, sich Hilfe zu holen. „Besonders gefährdet sind Frauen mit  Kommunikationsbeeinträchtigungen, Frauen mit Lernschwierigkeiten, Frauen mit Mehrfachbehinderungen sowie Frauen mit Behinderungen und Migrationshintergrund.“

Femizide: Gesellschaftlicher Auftrag

Als Gesellschaft können wir alle einen Beitrag leisten, um Gewalt zu enttabuisieren. Dazu braucht es eine klare und gute Gesetzgebung und lautstarke Interventionen, wenn Gewalt wahrgenommen wird. „Ein Diskurs auf breiter Ebene über die Etablierung und Aufrechterhaltung von geschlechtergerechten Verhältnissen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens könnte sehr hilfreich sein“, so Andrea Lehner-Hartmann.

Hilfe für Gewaltbetroffene:

Frauenhelpline (Mo–So, 0–24 Uhr, anonym und kostenlos): 0800 / 222 555

Gewaltschutzzentren (anonym und kostenlos): 0800 / 700 217

Männerberatung (Mo–So, 0–24 Uhr, anonym und kostenlos): 0800 / 400 777

Männernotruf (Mo–So, 0–24 Uhr, anonym und kostenlos): 0800 / 246 247

Telefonseelsorge (Mo–So, 0–24 Uhr, vertraulich und kostenlos): 142


Leitfaden für Journalist*innen: https://fgm-koordinationsstelle.at/wp-content/uploads/Leitfaden-Sensible-Berichterstattung.pdf 

Theologin Andrea Lehner-Hartmann
Andrea Lehner-Hartmann ist Dekanin am Institut für Praktische Theologie der Universität Wien sowie stv. Sprecherin der dortigen Forschungsplattform GAIN – Gender: Ambivalent In_Visibilities. © Universität Wien, derknopfdruecker.com

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