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20. August 2025

Wie verändert sich Demokratie?

Von Schrödingers Katze
Gesellschaft
Wir befinden uns weltweit in einem Prozess der Entdemokratisierung. An der Donau-Universität Krems erforscht man Mechanismen und Folgen.

Aktuell wird die Demokratie schrittweise ausgehöhlt, weiß Karin Bischof. Die an der Donau-Universität Krems tätige Politikwissenschafterin befasst sich mit dem Zustand der Demokratie – und wie diese sich gerade verändert. Sie und viele ihrer Kolleg*innen betrachten seit geraumer Zeit eine weltweite Entdemokratisierung bzw. Autokratisierung. Das ist ein Prozess, in dem demokratische Standards wie Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und politische Gleichheit ausgehöhlt oder abgebaut werden. Karin Bischof: „Forscher*innen von Varieties of Democracy, dem umfassendsten und komplexesten Demokratieindex, haben den Terminus einer weltweiten ‚3. Welle der Autokratisierung’ geprägt. Das war 2019 und seither hat sich die Lage noch verschlimmert. Der Unterschied zu früher ist, dass Autokratisierung verstärkt in Demokratien stattfindet, und nicht mehr hauptsächlich in Ländern mit ohnehin schon autokratischen Zügen.“ Andere Forschende sprechen von democratic backsliding (Yascha Mounk), demokratischem Niedergang (Ivan Krastev), einer Entstellung oder Beschädigung von Demokratie (Nadia Urbinati bzw. Jan Werner Müller) ihrer schleichenden Aushöhlung (de Sousa Santos), Unterwanderung (Ludger Hagedorn) oder sogar um vom Absterben der Demokratie (Stephen Levitsky/ Daniel Ziblatt), in jüngster Zeit zunehmend von Faschisierung (Jason Stanley), so die Expertin.

Schrittweise Aushöhlung

Demokratie wird nicht abrupt, sondern schrittweise ausgehöhlt. Die Politikwissenschafterin erklärt das am Beispiel von Ungarn: „Es gibt dort nach wie vor korrekt durchgeführte Wahlen, aber das Wahlrecht wurde so verändert, dass bei der Wahl 2014 die stärkste Partei mit einem Stimmenanteil von 45 Prozent zwei Drittel der Mandate im ungarischen Parlament erhalten hat. Medien werden nicht verboten, sondern finanziell ausgehungert, die Zivilgesellschaft stark beschränkt. Demokratie wird nicht abgelehnt oder offen angegriffen, sondern umgedeutet, in dem Fall zu einer illiberalen Demokratie, die aber de facto Autokratisierung bedeutet.“ Unter Autokratie versteht man die Herrschaft einer einzelnen Person bzw. einer kleinen Gruppe von Menschen, in dieser Regierungsform gibt es oft nur eingeschränkte oder keine politischen Freiheiten. 

Problematisch ist auch, dass die Veränderung der Demokratie hin zu einer Autokratie schleichend ist: Es ist nicht ganz klar, wo genau der Prozess der Entdemokratisierung beginnt und was davor passiert. Karin Bischof nennt dies die „Grauzone der Demokratieveränderung“.

Entmenschlichung und Verschwörung

Dennoch gibt es einige Elemente, die einen Weg Richtung Entdemokratisierung deutlich werden lassen: Dieser zeigt sich zum Beispiel auf der Ebene von Rhetorik und politischer Kultur. Karin Bischof: „Autoritäre Radikalisierung wird etwa ganz klar durch Entmenschlichung politischer Gegner*innen angezeigt oder durch den Einsatz von Verschwörungsmythen. Auch das Forcieren von traditionellen hierarchischen und streng binären Geschlechternormen ist meist ein zuverlässiger Vorbote autoritärer Entwicklungen.“ Diese Radikalisierungen von Rhetorik sind nicht neu, man kennt sie bereits aus Autokratisierungsprozessen des 20. Jahrhunderts, zum Beispiel dem Aufstieg des Nationalsozialismus und Faschismus in Europa.

Umdeutung von Demokratie

Neu sei hingegen, so die Forscherin, eine autoritäre Umdeutung von Demokratie: „Im Vergleich zu Prozessen der Autokratisierung, die wir aus dem 20. Jahrhundert kennen, ist auffällig, dass autoritäre Führungsfiguren, darunter nun auch weibliche, die Demokratie und ihre Prinzipien eben nicht offen angreifen oder ablehnen, sondern uminterpretieren: Individuelle Freiheitsrechte und politische Gleichheit werden so ausgelegt, dass sie von nationaler Zugehörigkeit oder „nationaler Loyalität“ abhängen;  Minderheitenrechte, zum Beispiel von ethnischen, religiösen, sexuellen und anderen Minderheiten, werden umgedeutet in die Rechte einer angeblich schwachen und unterdrückten Mehrheit, demokratische Partizipation und direkte Demokratie werden zu einem ‚Daumen hoch, Daumen runter‘ herabgesetzt.“ Dies zeigte sich etwa bei Viktor Orbán oder Donald Trump.

Einfluss der Digitalisierung

Deutungskämpfe darüber, was eine Demokratie ausmacht, gab es stets, in den letzten Jahren zeigen sich hier jedoch die Folgen der Digitalisierung: „Digitalisierung hat das Terrain wesentlich umgestaltet, auf dem solche Deutungskämpfe und Bedeutungsverschiebungen stattfinden. Dass Digitalisierung die Demokratie verändert hat, ist in Debatten der Demokratieforschung unumstritten, wenngleich die Bewertungen und Diagnosen erheblich voneinander abweichen: Manche sehen vor allem Entdemokratisierung und Polarisierung dadurch befeuert, andere auch eine demokratiebelebende Repolitisierung zum Beispiel durch Internetkampagnen wie #metoo oder #blacklivesmatter.“ Wie Digitalisierung die Demokratie (weiter) verändern wird, ist noch nicht absehbar. Karin Bischof erinnert aber daran, dass etwa Künstliche Intelligenz Probleme wie Deep Fakes mit sich ziehen wird, auch der Einfluss großer Tech-Unternehmen muss kritisch betrachtet werden. Als Beispiel für Verschwörungsmythen, die sich in den letzten Jahren – vor allem online – verbreitet haben, nennt die Expertin Diskussionen rund um den Großen Austausch: „Das ist die Vorstellung, dass finstere Mächte die Bevölkerung Europas durch sogenannte ‚nichteuropäische Völker‘ austauschen und dabei autochthone Europäer*innen unterdrücken bzw. versklaven wollen, durch Migration und deren bewusste Instrumentalisierung, Feminismus und LGBTIQ-Rechte. Die digitale Mediatisierung solcher Verschwörungsnarrative auf unzureichend oder nicht moderierten/regulierten Plattformen befeuert nun ihre digitale Verbreitung maßgeblich.“ 

Positive Beispiele

Trotz all dieser düsteren Aussichten nennt die Expertin ein paar positive Entwicklungen der letzten Jahre: Die Regulierungen von Medienplattformen bzw. des digitalen Raums generell, etwa durch den Digital Service Acts (DSA) und die Versuche KI zu regulieren, zum Beispiel mit dem Artificial Intelligence Act (AI). Auch Ansätze zur Stärkung von digitaler Medienkompetenz in Schulen oder zum Kontern autoritärer Erzählungen durch wirksame Gegennarrative betrachtet die Politikwissenschafterin positiv. Gemeinsam mit ihrem Forschungsteam arbeitet die Politikwissenschafterin an der Donau-Universität Krems daran, Re-Interpretationen von Demokratie zu betrachten: „Wir vergleichen mit zehn Partnerorganisationen sowohl etablierte Demokratien in der EU als auch elektorale Autokratien als EU-Mitglieder (Ungarn) und Beitrittsländer (Serbien, Türkei). Wir analysieren und bündeln globale Erfahrungen mit Autokratisierungsprozessen, besonders erfolgreiche Strategien für demokratische Resilienz, um daraus zukunftsorientiert Learnings für Demokratien in Europa und international abzuleiten.“

Politikwissenschafterin Karin Bischof bei ihrer Antrittsvorlesung.
Politikwissenschafterin Karin Bischof bei ihrer Antrittsvorlesung an der Donau-Universität Krems. © Walter Skokanitsch

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