Ende 2024 wurde Hans Karl Peterlini und der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt wieder der UNESCO Chair für Global Citizenship Education anerkannt. Die UNESCO-Lehrstühle sollen die Anliegen der UNESCO (United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization) im Hochschulwesen verankern, die Organisation selbst fördert Projekte in den Bereichen Erziehung, Wissenschaft, Kultur, Kommunikation und Information.
Im Interview mit Schrödingers Katze erzählt der ehemalige Journalist und Autor, der seit 2014 Universitätsprofessor für Allgemeine Erziehungswissenschaft und Interkulturelle Bildung ist, wie er ein gutes Leben und globale Bürger*innen definiert, wie globale Verbundenheit funktionieren kann und welche Rolle Bildung dabei spielt.
Wie definieren Sie ein „gutes Leben“?
Hans Karl Peterlini: Die Vorstellungen, was ein gutes Leben ist, gehen natürlich weit auseinander, und das verweist schon auf schwere globale Schieflagen. Worüber sich Menschen in privilegierten Gebieten oder Gesellschaftsgruppen mokieren, wäre für benachteiligte Menschen möglicherweise schon Luxus. Wir müssen einen kleinsten gemeinsamen Nenner finden. Was brauchen wir wirklich alle, unabhängig ob Süd oder Nord, arm oder reich? Gesunde Nahrung, gesunde Umwelt, adäquate Wohnverhältnisse, ein gewaltfreies soziales Umfeld, nährende Sozialbeziehungen, Bildungschancen, stützende Strukturen, schützende Rechtssysteme, politische Teilhabe und Meinungsfreiheit, im weitesten Sinne also demokratische Verhältnisse, Recht auf individuelle Wertvorstellungen, religiöse, weltanschauliche, ethische, sexuelle Orientierungen und Lebensgestaltungen, Anerkennung in der eigenen jeweiligen Diversität, die unsere Besonderheit ausmacht.
Was ist für Sie ein „globaler Bürger“ bzw. eine „globale Bürgerin“?
Der Begriff Global ist mehrdeutig. Globalisierung wird gern als Öffnung der Märkte für Personen, Finanzen und Waren verstanden, sie dient dadurch vor allem ökonomischen Interessen größerer Kragenweite und löst bei den sogenannten kleinen Leuten vielfach Rückzugstendenzen in regionale Heimaten aus. Im Sinne von Global Citizenship Education geht es nicht um einen elitären Entwurf des neuen Menschen oder den Privilegien von Globetrottern, sondern um das Bewusstsein, dass gerade die eigene kleine Heimat immer mit dem Ganzen, mit den globalen, planetaren Entwicklungen in Verbindung steht.
„Bildung muss Räume schaffen und öffnen,
dazu müssen wir den tradierten Bildungskanon aufbrechen.“
Wie zeigt sich diese globale Verbundenheit?
Am leichtesten dürfte diese Verbundenheit am Klimawandel nachvollziehbar sein, aber auch am Zusammenhang von Krieg und Energiekosten. In jüngeren Diskursen ergänzen wir das ‚global‘ gern auch mit ‚planetar‘, um zum Ausdruck zu bringen, dass es nicht nur um die Verbundenheit mit Menschen und Lebensbedingungen an anderen Ecken der Welt geht, sondern auch um die Verbundenheit Mensch-Natur-Tier.
Wie kann der Gedanke des Global Citizen in einem Zeitalter, in dem eine Rückkehr zu Nationalstaaten zu herrschen scheint, verankert werden?
Bildung muss Räume schaffen und öffnen, dazu müssen wir den tradierten Bildungskanon aufbrechen. Es geht nicht darum, ständig Wissen zu reproduzieren, sondern die Welt zu entdecken, indem wir uns mit ihr in Verbindung setzen, uns in sie hineinfühlen und komplexe Zusammenhänge verstehen lernen. Ob dies den methodologischen Nationalismus, den der Nationalstaat hervorgebracht hat, aufbrechen kann, ist fraglich, aber es ist der Beitrag, den Bildung leisten kann. Es müsste politische und normative Setzungen begleitend dazu geben.
Wie kann man das leichter verständlich erklären?
Methodologischer Nationalismus drückt sich so aus, dass ich Probleme aus der Perspektive des Nationalstaates betrachte – Probleme hören dort auf, wo die Staatsgrenze liegt. Egal, was mit Müllinseln im Pazifik geschieht, Hauptsache der Müll ist aus unserem Staatsgebiet weg. Wir wissen aber, dass die Folgen auf uns zurückkommen. Egal, was mit Geflüchteten geschieht, Hauptsache, wir halten sie an den Staatsgrenzen oder den EU-Außengrenzen auf. Wir wissen, dass wir den dramatischen Schieflagen, die Migration auslösen, damit nicht gerecht werden. Egal, was in Kriegen anderswo geschieht, Hauptsache, wir leben in Frieden. Wir wissen aber, dass sich dies auf uns auswirkt, künftig durch erhöhte Militärausgaben und gestrichene Sozialkosten. Die Staatsgrenze ist kein Schutz mehr; sie war es nicht gegen Corona, sie ist es nicht gegen den Klimawandel, sie ist es auch sonst nicht.
Wir kennen das Storytelling, dass ein gemeinsamer Feind, ein gemeinsames Außen, eint. Gibt es andere Bilder oder Phänomene?
Unsere Empathie wird im System des enthemmten Kapitalismus auch in Bildungsprozessen zugunsten des gnadenlosen Ellenbogen- und Leistungsprinzips längst als Schwäche abgewertet und ausgemerzt. Sie muss wieder rehabilitiert werden. Erst wenn wir das Leid anderer wieder wahrnehmen lernen, können wir uns selbst als Spezies neu entdecken und erfinden – nicht als neue Menschheit, denn die ist meist in der Katastrophe geendet, wohl aber als Menschen, die für sich und andere achtsam sind.
Können Sie kurz das Konzept das UNESCO Chairs skizzieren?
Weltweit gibt es derzeit 1000 Chairs, 13 davon in Österreich. Die Einrichtung der UNESCO Lehrstühle hat 1992 begonnen. Die UNESCO als Bildungsorganisation der Vereinten Nationen versucht damit, ihre Ziele an den Hochschulen weltweit zu verankern. Universitäten und Fachhochschulen können zum Beispiel einen UNESCO Chair zu bestimmten Themen beantragen, sofern diese mit den Bildungszielen der Vereinten Nationen übereinstimmen. Die UNESCO prüft die bisherigen Leistungen und die künftigen Ziele dieser Universität, und falls dies den Anforderungen entspricht, erhält die Universität einen UNESCO Chair. Es handelt sich also um eine symbolische Anerkennung, da die UNESCO die Lehrstühle nicht finanziert, das müssen die Forschungssstätten aus Eigenleistung schaffen.
Konkret soll der UNESCO Chair für Global Citizenship Education das gute Leben für alle im Bildungswesen verankern. Was braucht es hierfür?
Um transformativ wirken zu können, muss die Bildung zuerst selbst transformiert werden – weg von elitärem Bildungsgehabe, das Jahrgang für Jahrgang so viele junge Menschen verwirft und mit dem Etikett ‚unbegabt‘ ins Leben schickt, hin zu einem Lernverständnis, das nicht von einem vorgegebenen – und mit unserem Notensystem willkürlich gemessenem – zu erreichendem Output ausgeht, sondern auf die Lernprozesse achtet. Dann gibt es kein falsches Lernen mehr, sondern ein mehr oder weniger intensives Sich-Einlassen auf die Welt. Das ist es, was Bildung vermitteln muss: Nicht das Lernen für den nächsten Test, das gewisse Begabungen belohnt und andere bestraft, in beiden Fällen aber drei Tage später vergessen ist. Nachhaltige Bildung ist jene, die mich befähigt, Fragen zu stellen und Wege zu explorieren, um Antworten zu finden.
Welche Projekte gab es in den letzten vier Jahren, welche sind aktuell geplant?
Wir haben mehrere Projekte initiiert und recht erfolgreich gestaltet. Das eine hatte einen ‚globalen’ Radius, aber mit lokaler Verankerung: Im Global Campus Online haben wir versucht, Dialoggruppen aus dem Globalen Süden und aus dem Globalen Norden zu bilden. Die jeweiligen Teilnehmenden haben jeweils vor Ort, also lokal, niederschwellige Projekte entwickelt, um sich dann mit Teilnehmenden aus anderen Gegenden der Welt auszutauschen – das ist es, was ich mit der Verbindung lokal-global meine. Das Projekt Transform4School sollte zunächst lokal wirken, wir haben mit Schulen in Kärnten und einer in Niederösterreich kooperiert, um mehr Partizipation zu ermöglichen und zu einer demokratischen Schulkultur beizutragen. Es wird nun mit Ende August abgeschlossen, führt aber in einem Projekt mit größerem Radius weiter, nämlich dem Projekt transform2gether, wo wir in Lehr-Lern-Formaten Lehrkräfte dazu anregen möchten, selber an ihren Schulen partizipative Instrumente anzusetzen. Dazu arbeiten wir nun mit den Pädagogischen Hochschulen Kärnten, Tirol und Wien zusammen, entwickeln zugleich aber eine Kompetenzplattform, die zu einem Online-Treffpunkt für alle werden soll, die sich für eine partizipative und demokratische Schulkultur interessieren.




