Eine neue Sprache zu erlernen, fällt vielen Menschen nicht leicht, umso interessanter ist nun das Ergebnis einer Studie der Johannes Kepler Universität (JKU) Linz, die zeigt: Schon das virtuelle Ergreifen von Gegenständen hilft bereits, ein neues Wort besser und schneller zu lernen; vor allem hilft es den Menschen, die sich mit dem Vokabellernen sonst schwertun.
„Ich wollte im Rahmen des Experiments den Prozess des Spracherwerbs bei Erwachsenen rekonstruieren“, sagt Manuela Macedonia. Die Neurowissenschafterin ist am Institut für Information Engineering der JKU tätig und führte mit ihren Kolleg*innen das Experiment im Deep Space des ARS Electronic Centers durch. Dabei lernten 46 erwachsene Teilnehmer*innen mit unterschiedlicher Sprachbegabung Vokabeln – und das in einer Virtual-Reality-Umgebung.
Manuela Macedonia erklärt den Aufbau des Experiments: „Wir haben mit unseren Studienteilnehmer*innen drei Bedingungen getestet: Bei der ersten haben die Proband*innen die Wörter nur gelesen und gehört. Bei der zweiten haben sie die Gegenstände gesehen und bei der dritten Bedingung konnten sie die Gegenstände auch virtuell ergreifen.“
Virtuelles Greifen
In der Studie zeigte sich, dass die Proband*innen vom visuellen Input und vom virtuellen Ergreifen profitierten – vor allem die Personen, die kein großes Talent für Sprachen haben. Bei diesen Menschen ist laut Manuela Macedonia das deklarative Gedächtnis nicht besonders gut ausgeprägt. Das deklarative Gedächtnis ist ein Teil des Langzeitgedächtnisses, das zuständig für die Speicherung von explizitem Wissen – mitunter Wörter, Namen und Fakten – ist. Bei manchen ist dieses eben schwächer ausgeprägt und mit zunehmenden Alter werden die Regionen im Gehirn, die für das deklarative Gedächtnis zuständig sind, auch ineffizienter.
Die Relevanz der körperlichen Erfahrung (in diesem Fall durch das Greifen der virtuellen Objekte) für den Spracherwerb ist eine Erkenntnis, die mit dieser Studie bewiesen werden konnte: „Wir konnten mit dem Experiment zeigen, dass diese körperliche Erfahrung, also das Greifen der Gegenstände – selbst wenn dies im Experiment nur virtuell geschah – eine wichtige Rolle beim Spracherwerb spielt.“
Darüber, wie diese Erkenntnis Verwendung in der Praxis findet, sagt die Wissenschafterin: „Man kann davon ausgehen, dass ein Kind aber auch eine erwachsene Person sich die Bezeichnung des Gegenstands besser merkt, wenn sie ihn angreift und damit interagiert, als wenn sie die Bezeichnung nur liest und hört. Ein erster Schritt könnte sein, dass in der Primärschule möglichst viele Gegenstände vorhanden sind, die diesen Zweck erfüllen. Jene, die nicht physisch zur Verfügung stehen, könnten Lehrkräfte an die Wand projizieren und die Lernenden dazu ermuntern, ihre Kontouren und oder ihre Form ‚virtuell abzugreifen’. Diese sensomotorische Information würde stabilere Netzwerke im Gehirn der Lernenden schaffen und die neuen Vokabeln gegen Verfall widerstandsfähig machen.“
Embodiment
Manuela Macedonia, die sich in ihrer Forschung mitunter mit neurowissenschaftlichen Grundlagen des Lernens auseinandersetzt, ist Vertreterin des Embodiments, einer Theorie der Kognitionswissenschaft, die sich in den letzten Jahren entwickelt hat. Den Begriff kann man mit Verkörperung übersetzen. Die Neurowissenschafterin sagt dazu: „Embodiment beschreibt die Tatsache, dass wir kognitive Prozesse nicht ohne Körper durchführen können. Ich sage seit bereits 30 Jahren, dass der Körper ein Lernwerkzeug ist. Durch Interaktionen des Körpers mit der Umwelt lernen wir besser.“
Die Wissenschafterin erklärt die Relevanz des Embodiments für kognitive Prozesse – wie etwa den Spracherwerb – anhand eines konkreten Beispiels: „Kinder lernen Wörter ihrer Muttersprache, indem sie mit der Umwelt interagieren. Das Kind nimmt zum Beispiel eine Zitrone in die Hand, riecht und lutscht daran, lässt sie fallen und hebt sie wieder auf. Durch diese körperlichen Tätigkeiten schafft das Kind ein sehr ausgedehntes Netzwerk im Gehirn, das die Erfahrungen speichert. Dann hört es irgendwann das Wort wieder, speichert es auch akustisch ab und versucht es schließlich nachzusprechen. Somit hat das Kind das Wort gelernt – dank einer Reihe von sensomotorischen Erfahrungen.“